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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2007: Bauhauptgewerbe

Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren sah sich die IG BAU zu einem regulären Streik in ihrer Hauptbranche, dem Bauhauptgewerbe, gezwungen. Nachdem zunächst ostdeutsche Arbeitgeberverbände ein erstes Tarifergebnis nicht akzeptierten, lehnten das niedersächsische und schleswig-holsteinische Baugewerbe das anschließend durch Schlichtung gefundene Ergebnis ab. Damit steht nicht nur der Tarifabschluss 2007, sondern im Grundsatz auch das gesamte Tarifgefüge im Bauhauptgewerbe einschließlich des tariflichen Mindestlohnes nach dem Entsendegesetz zur Disposition.

Forderungen, Verhandlungen, erstes Ergebnis

Die Tarifverhandlungen fanden in diesem Jahr erstmals vor einer deutlich verbesserten wirtschaftlichen Lage der Branche statt. Die harte Anpassungskrise in Ost- wie Westdeutschland, verschärft durch die Auswirkungen der restriktiven Ausgabenpolitik der Gebietskörperschaften, war zu Ende gegangen. Im Jahr 2006 waren die Bauinvestitionen real bereits wieder um 3,6 % gestiegen, auch für 2007 wurde ein weiterer Anstieg erwartet. In der Folge entwickelte sich auch die Gewinnsituation der Unternehmen und - endlich - auch die Lage auf dem Bauarbeitsmarkt wieder positiv.

In der ersten und zweiten Verhandlungsrunde am 14.2. und 2.3. präsentierten die Arbeitgeberverbände Gegenforderungen von der Abschaffung besonderer Lohnregelungen in Hamburg und Berlin über die Ausweitung der Arbeitszeitflexibilisierung bis zu vielen weiteren Verschlechterungen in den Rahmentarifverträgen. In der dritten Runde der Tarifverhandlungen am 13.3. legten sie ein erstes Angebot vor. Im Rahmen eines Tarifabschlusses war nach Auffassung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB) nur eine Kostenbelastung von insgesamt 2 % denkbar. Diese Kostenbelastung müsse die Erhöhung des Beitrags zur Zusatzversorgungskasse, die möglichen Lohnerhöhungen sowie Einmalzahlungen enthalten. Die IG BAU lehnte das Angebot der Arbeitgeber als unzureichend ab.

Ein erstes Ergebnis erzielten die Tarifparteien in der vierten Verhandlungsrunde am 31.3. Nach über 16-stündigen Tarifverhandlungen einigten sich IG BAU und Arbeitgeber in Berlin auf eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um insgesamt 3,5 %. Die Erhöhung setzte sich folgendermaßen zusammen:

  • Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter und Ausbildungsvergütungen um 3,1 % ab 1.5.2007,
  • zusätzlich 0,4 % als monatlicher Festbetrag,
  • Laufzeit bis zum 31.3.2008.

Parallel zur Lohnerhöhung einigten sich die Tarifvertragsparteien auf eine Erhöhung der Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge um 1,2 Prozentpunkte der Bruttolohnsumme. ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber tragen sie je zur Hälfte, die Bauarbeiter zahlen dies über eine Senkung des zusätzlichen Urlaubsgeldes auf 25 %. Diese Vereinbarung sollte ab 1.1. 2008 gelten.

Schlichtung und Streik

Anfang Mai kippten die ostdeutschen Arbeitgeber die Tarifeinigung mit der Begründung, die immer noch schwierige konjunkturelle Lage des Baugewerbes im Osten lasse derartige Einkommenssteigerungen nicht zu. Damit war der Weg in die Schlichtung vorgezeichnet. Sie wurde am 14.5. von der IG BAU angerufen und legte unter Vorsitz von Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) am 19.5. folgendes Ergebnis vor, das neben einer verzögerten Tarifanhebung in diesem Jahr eine deutlich verlängerte Laufzeit mit zwei Stufenerhöhungen in den Jahren 2008 und 2009 sowie die Einführung einer tariflichen Öffnungsklausel vorsah:

  • Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter um 3,1 % ab dem 1.6. statt wie im ersten Verhandlungsergebnis ab dem 1.5.2007,
  • Stufenerhöhung um weitere 1,5 % ab dem 1.4.2008,
  • Stufenerhöhung um weitere 1,6 % zum 1.9.2008,
  • zusätzlich Zahlung von 0,4 bzw. 0,5 % eines Monatsentgeltes ab 1.6.2007 bzw. 1.4.2008 als monatlicher Festbetrag,
  • Laufzeit bis zum 31.3.2009,
  • Öffnungsklausel: Auf Basis einer Tarifvereinbarung kann vom Tariflohn im Tarifgebiet West um bis zu 8 % abgewichen werden,
  • Anhebung der Mindestlöhne für das Tarifgebiet West auf 10,70 € bzw.12,85 € mit Wirkung zum 1.9.2008,
    Neufestsetzung der Mindestlöhne für das Tarifgebiet Ost bis zum 31.3.2008.

Am 4.6. sorgten dann Arbeitgeber des Bauhandwerks in Niedersachsen und Schleswig-Holstein für ein Scheitern, indem sie das Schlichtungsergebnis ablehnten. Die Baukonjunktur im Norden, so ihre Argumentation, verkrafte die Höhe des Abschlusses nicht. Außerdem wollten sie die im Schlichtungsergebnis enthaltene Öffnungsklausel noch weiter an ihre Vorstellungen anpassen, so dass betriebliche Abweichungen ohne Einbeziehung der IG BAU möglich würden. Dies stieß auf heftige Kritik insbesondere des Hauptverbandes der Bauindustrie, da Vertreter dieser beiden Regionalverbände an der Aushandlung des Schlichtungsergebnisses selbst beteiligt waren.

Daraufhin begann die IG BAU mit Warnstreiks und führte eine Urabstimmung in den beiden betroffenen Tarifgebieten durch, in der sich 87,9 % der Mitglieder für Streikmaßnahmen aussprachen. Am 18.6. traten mehrere hundert Bauarbeiter auf rund 100 Baustellen in den Streik. In den folgenden Tagen weitete die Gewerkschaft den Arbeitskampf aus, Ende Juni befanden sich nach Gewerkschaftsangaben über 1.700 Bauarbeiter auf rund 250 Baustellen im Arbeitskampf. Nach Angaben der IG BAU arbeiten im Streikgebiet insgesamt rund 42.000 Beschäftigte am Bau, davon etwa 8.000 Alleinunternehmer. Von den ArbeitnehmerInnen im Bauhandwerk in Niedersachsen und Schleswig-Holstein seien 9.800 IG BAU-Mitglieder. Nach zwei Sondierungsgesprächen einigten sich die Tarifparteien auf einen Kompromiss. Danach wird der Schlichtungsspruch mit einer Änderung angenommen: beide Seiten werden umgehend beim Bundesarbeitsminister beantragen, den Mindestlohn West noch in diesem Jahr auf 13 Euro zu erhöhen. Damit soll verhindert werden, dass sich die Schere zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Unternehmen weiter öffnet. Es wurde außerdem ein Verfahren vereinbart, wie die Firmentarifklausel umgesetzt werden kann, die auf Wunsch der Nordverbände in den Schlichtungsspruch aufgenommen wurde. Für die Annahme gilt eine Zustimmungsfrist bis zum 12. Juli 2007. Die Streiks werden fortgeführt, bis die Zustimmung der Baugewerbeverbände Niedersachsens und Schleswig-Holsteins vorliegt und die Urabstimmung abgeschlossen ist.

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