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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2007: Metallindustrie

Die IG Metall stellte in dieser Tarifrunde unter Beweis, dass sie - immer noch - in der Lage ist, in ihrer Kernbranche einen Tarifabschluss zu realisieren, der für ihre Mitglieder eine deutliche Reallohnsteigerung bedeutet und der die eine zentrale Zielsetzung der Arbeitgeber, nämlich unterhalb des Abschlusses des Vorjahres zu bleiben, wirksam durchkreuzte.

Dazu trug vor allem die hohe Mobilisierungsfähigkeit bei, wie sie in den umfangreichen Warnstreiks nach Auslaufen der Friedenspflicht zum Ausdruck kam. Allerdings bleibt die tarifpolitische "Falltür" (Ehlscheid/Urban 2007) zu beachten: Den Metallarbeitgebern gelang durch den Einbau einer Öffnungsklausel ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zur Variabilisierung der Tarifentgelte.

Ausgangslage und Forderung

Die Ausgangssituation war ungewohnt: Der Tarifabschluss vom April 2006 hatte - anders als in den Jahren zuvor - lediglich eine kurze Laufzeit von 13 Monaten, so dass bereits ein gutes halbes Jahr danach die Diskussionen um die neue Tarifrunde begannen.

Die Abkommen liefen Ende März 2007 aus und die Tarifverhandlungen begannen demzufolge erst einige Wochen später als in der chemischen Industrie. Dennoch bestimmte die Diskussion in dieser Branche im Vorfeld die öffentliche Auseinandersetzung um die gesamte Tarifrunde 2007. Schon im Spätherbst 2006 signalisierte die IG Metall, dass die Erwartungshaltung der Belegschaften hoch sei und die positive wirtschaftliche Lage eine höhere Tarifanhebung möglich und nötig mache. Die innergewerkschaftliche Diskussion um die mögliche Forderungshöhe für 2007 zeigte, dass sich die Vorstellungen überwiegend in einem Korridor zwischen 6 und 7 % bewegten. In einzelnen Unternehmen gingen die diskutierten Forderungen darüber hinaus. Bei DaimlerChrysler war von 8 %, bei Porsche von 9,5 % die Rede. In der Empfehlung des IG Metall-Vorstandes vom 6.2.2007 wurde die Tarifforderung dann mit 6,5 % beziffert, die am 26.2. auch zur offiziellen Tarifforderung wurde. Zusätzlich wollte die IG Metall mit den Arbeitgebern u.a. über Themen wie Altersteilzeit, Leiharbeit, eine Fachkräfteinitiative, Übernahme von Studiengebühren und ausbildungsbedingten Kosten ins Gespräch kommen.

Verhandlungen und Ergebnis

Die Tarifverhandlungen auf regionaler Ebene begannen am 12.3. in Nordrhein-Westfalen. Die Verhandlungen wurden in der ersten Runde bestimmt vom Austausch der wirtschaftlichen Begründung der jeweiligen Position. Die IG Metall stellte die hervorragende wirtschaftliche Lage der Metallindustrie in den Vordergrund (IG Metall 2007). Angesichts der hohen Umsatzzuwächse, weiter zunehmenden Bestellungen, der hohen Produktivität und der sehr positiven Ertragslage der Branche ("die beste seit neun Jahren") seien die geforderten Entgelterhöhungen gerechtfertigt. Metallwirtschaftlich sei mit einem Produktivitätsanstieg von 4,5 % und einer Steigerung der Verkaufspreise um 2 % zu rechnen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht machte die Gewerkschaft für 2007 einen neutralen Verteilungsspielraum von 4,1 % geltend, der sich aus einem voraussichtlichen Produktivitätsanstieg von 1,8 % und einem Anstieg der Verbraucherpreise um 2,3 % zusammensetze.

Die Metallarbeitgeber argumentierten dagegen im Kern wie folgt: Die positive Entwicklung des Jahres 2006 werde sich in der Metallwirtschaft nicht in gleicher Weise fortsetzen, der neue Tarifabschluss müsse daher im Volumen deutlich unter dem vom Vorjahr liegen. Sie schlugen eine Aufspaltung des Abschlusses in einen fixen, tabellenwirksamen und einen variablen Teil vor. Letzterer sollte einmalig als "Konjunkturbonus" gezahlt werden und nicht in die Vergütungstabellen eingehen. Darüber hinaus forderten sie eine variable Gestaltung der Jahressonderzahlung. Eine Orientierung am Abschluss der chemischen Industrie schlossen die Metallarbeitgeber aus.

Zu Beginn der zweiten Verhandlungsrunde am 27.3. in Baden-Württemberg präsentierten sie ein bundesweit abgestimmtes Angebot, dass folgende Bestandteile enthielt:

  • Anhebung der Tarifvergütungen um 2,5 % sowie
  • eine monatliche Einmalzahlung als "Konjunkturbonus" bei einer Laufzeit von 12 Monaten,
  • variable Gestaltung des Weihnachtsgeldes über einen Zeitraum von 3 bis 5 Jahren in einer Bandbreite von +/- 15 % in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Lage eines Betriebes.

Die IG Metall lehnte das Angebot, das erwartungsgemäß auch in allen anderen regionalen Tarifbereichen unterbreitet wurde, rundweg ab. Die tabellenwirksame Anhebung schöpfe nicht einmal den verteilungsneutralen Spielraum aus und der "Konjunkturbonus" sei eine Mogelpackung, da er am Ende der Laufzeit ersatzlos wegfalle. Damit wollten die Arbeitgeber ein neues tarifpolitisches Instrument installieren, das einerseits jährlich neu verhandelt werden muss und andererseits die Beschäftigten dauerhaft von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppelt. Die Variabilisierung des Weihnachtsgeldes führe bei einer Ausschöpfung des Spielraums nach unten zu einer Absenkung des Jahresentgeltes um 1 %.

Die dritte Verhandlungsrunde, die in den wichtigen Bezirken Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zeitgleich am 16.4. stattfand, brachte keine weitere Annäherung, im Mittelpunkt standen hier die Flexibilitätsforderungen der Arbeitgeber. Auch in der vierten Runde am 26.4. konnten in beiden Bezirken keine entscheidenden Fortschritte erzielt werden. Damit lief alles auf Warnstreiks hinaus, die unmittelbar nach Ende der Friedenspflicht am 29.4. einsetzten und in wenigen Tagen ein großes Ausmaß erreichten. Allein am 2. und 3.5. beteiligten sich nach Angaben der IG Metall rund 100.000 bzw. 290.000 Beschäftigte an Warnstreiks und spontanen Aktionen, am 4.5. waren es noch einmal rund 76.000. Die erneuten Verhandlungen in Baden-Württemberg begannen am 3.5. und führten nach einer langen Verhandlungsnacht am 4.5. zum Ergebnis. Dies beinhaltete folgende Elemente:

  • 400 € Pauschale für die Monate April und Mai 2007, Auszubildende 125 €,
  • Tariferhöhung um 4,1 % ab Juni 2007,
  • Stufenerhöhung um weitere 1,7 % ab Juni 2008,
  • Erhöhung der Ausbildungsvergütungen aufgrund der tariflich geregelten festen prozentualen Relation zum Monatsgrundlohn bzw. -grundentgelt,
  • Einmalbetrag von jeweils 0,7 % eines Monatsentgeltes für die Monate Juni bis Oktober 2008 unter Berücksichtigung des Urlaubsgeldes (= 3,98 %), zahlbar im August 2008,
  • Verschiebung der Stufenerhöhung und der zusätzlichen Einmalzahlung in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Lage des Betriebes um maximal 4 Monate durch freiwillige Betriebsvereinbarung möglich,
  • Laufzeit des Tarifabschlusses: 19 Monate bis 31.10.08.

Die relativ hohe Pauschalzahlung von 400 € für die ersten beiden Monate entspricht bezogen auf die Durchschnittseinkommen einer Erhöhung von 6 %, bei 2.500 € Monatsverdienst 8 % und bei niedrigen Monatseinkommen 10 %. Die 4,1 % für die darauf folgenden 12 Monate werden angesichts einer laufenden Preissteigerungsrate von rund 2 % zu einer deutlichen Realeinkommenssteigerung führen. Auch die zweite Stufe von 1,7 % geht dauerhaft in die Tabelle ein, sodass am Ende der Laufzeit die Tabellenvergütungen um insgesamt 5,87 % höher sein werden.

Struktur und Volumen des Abschlusses werden daher von der IG Metall insgesamt sehr positiv bewertet, weil damit der von Gesamtmetall angestrebte "doppelte Paradigmenwechsel" abgewehrt worden sei. Allerdings ist unbezweifelbar, dass es den Metallarbeitgebern gelungen ist, ihren bereits im Abschluss 2006 erstmalig realisierten Ansatz, zumindest einzelne Bestandteile des Abschlusses variabel zu gestalten, auch dieses Mal wieder durchsetzen konnten. Dies bezieht sich auf die Verschiebbarkeit der Stufenerhöhung wie auch der zusätzlichen Einmalzahlung. Formal kann dies nur auf Basis einer freiwilligen Betriebsvereinbarung geschehen; tatsächlich wird - wie schon beim Abschluss 2006 - viel von der realen ökonomischen Lage der Betriebe und der Konfliktfähigkeit der Belegschaften abhängen, mit dem kleinen Unterschied, dass dieses Mal nur eine Abweichung nach unten vorgesehen ist.

Neben dem Lohn- und Gehaltsabschluss wurden weitere Vereinbarungen getroffen. Dazu zählt eine Absprache zur Weiterentwicklung der Tarifregelung zum flexiblen
Übergang in die Rente. Auf zentraler Ebene sollen im Jahr 2008 Verhandlungen zwischen den Tarifparteien mit dem Ziel aufgenommen werden, möglichst bis Mitte des Jahres eine entsprechende Regelung zu vereinbaren. Dabei sollen zugleich die Anforderungen an den Gesetzgeber zur Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen formuliert werden.

Aus Sicht der IG Metall handelte es sich bei dem Abschluss um einen "ordentlichen Kompromiss". Es sei gelungen "für ein reales Plus in den Portemonnaies unserer Mitglieder zu sorgen und sie am Aufschwung, den sie erarbeitet haben, dauerhaft und nicht nur einmalig zu beteiligen", so IG Metall-Vorsitzender Peters (vgl. auch Ehlscheid/Urban 2007). Gesamtmetall-Präsident Kannegießer äußerte, dass der Abschluss insgesamt durch den Rückenwind der immer stärker werdenden Konjunktur beeinflusst sei. Die spürbare Entgelterhöhung sei eine "Vorleistung der Betriebe, die nun durch die Leistung der Mitarbeiter gedeckt werden muss". Als wichtiges Ergebnis der Tarifverhandlungen bezeichnete er es, dass der Grundsatz der betrieblichen Differenzierung fortgeführt wurde.

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