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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2015: Deutsche Bahn AG

Der seit Mitte 2014 laufende Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG hatte bis zum Jahresende noch kein Ergebnis erbracht. Der Grundlagentarifvertrag aus dem Jahr 2008, der eine Arbeitsteilung zwischen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im DGB und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) beinhaltete, war Ende Juni 2014 ausgelaufen (vgl. WSI-Tarifbericht 2014). Auf eine Verlängerung konnten sich die Tarifparteien nicht verständigen. Die GDL trat in dieser Tarifrunde erneut mit dem Anspruch an, für die Lokomotivführer und darüber hinaus auch für Lokomotivrangierführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Disponenten und Instruktoren/Trainer zu verhandeln. Die EVG ihrerseits erklärte daraufhin, dass sie künftig wieder einen eigenständigen Tarifvertrag für die bei ihr organisierten Lokomotivführer abschließen wolle.

Damit stellte sich erneut die Frage, ob und wie einheitliche Tarifregelungen für die einzelnen Beschäftigtengruppen bei der Deutschen Bahn AG vereinbart werden können. Auch fünf Streikwellen der GDL im Zeitraum von September bis November 2014 führten nicht zu einer Lösung des Kernproblems eigenständiger Tarifverträge für die GDL (vgl. WSI-Tarifbericht 2014)

Der Tarifkonflikt stand politisch unter dem Druck, dass zeitgleich der Gesetzgebungsprozess zum Tarifeinheitsgesetz lief (vgl. WSI-Tarifbericht 2014). Im Dezember 2014 hatte die Bundesregierung einen ersten Gesetzentwurf präsentiert, im März 2015 fand die erste Lesung im Bundestag statt, im April folgte die Behandlung im Arbeits- und Sozialausschuss und im Mai stimmte der Bundestag in 2. und 3. Lesung dem Gesetz endgültig zu. Die GDL sah in diesem „Lex GDL“ eine fundamentale Bedrohung ihrer gewerkschafts- und tarifpolitischen Handlungsmöglichkeiten.

Materiell forderte die GDL inhaltlich eine Entgelterhöhung um 5,0 %, eine Arbeitszeitverkürzung von 39 auf 37 Stunden/Woche, Senkung der maximalen Fahrzeit auf Triebfahrzeugen sowie Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Schichtdienst und eine Mitarbeiterbeteiligung am Konzerngewinn. Die EVG forderte eine Erhöhung der Entgelte um 6,0 %, mindestens 150 € monatlich, die Weiterentwicklung verschiedener Tätigkeits- und Berufsgruppen im Unternehmen sowie die Gültigkeit der EVG-Regelungen für die bei ihr organisierten Lokführer. Im Dezember 2014 hatten DB AG und GDL bereits eine Einmalzahlung für 2014 mit einer Auszahlung im Februar 2015 vereinbart. Die EVG hatte dies als unzureichend abgelehnt.

Am 14.01.2015 unterbreitete die Deutschen Bahn AG beiden Gewerkschaften ein Angebot über eine Einmalzahlung von 510 € für das Jahr 2014. Beschäftigte im Dienstleistungsbereich sollten 340 € für vier Monate erhalten. Die EVG lehnte unterschiedliche Einmalzahlungen für verschiedene Beschäftigtengruppen ab. Wenig später dehnte die Bahn das Angebot auf den Januar 2015 aus. Die EVG lehnte ab und forderte ultimativ 100 € für jeden Monat seit Auslaufen der Tarifverträge. Am 30.01. gelang die Einigung mit 750 € für die Monate August 2014 bis Februar 2015. An Beschäftigte im Dienstleistungsbereich wurden 300 € gezahlt, da ihre Tarifverträge später ausgelaufen waren.

Nach weiteren vier Verhandlungsrunden mit der EVG legte die DB AG am 29.04. beiden Gewerkschaften ein materielles Angebot vor, das eine Entgelterhöhung von insgesamt 4,7 % in 2 Schritten bei einer Laufzeit von 29 Monaten vorsieht. Jedoch sollte die Laufzeit für die Funktionsgruppentarifverträge bis 31.12.2016 und für den Dienstleistungsbereich bis 30.04.2017 gelten. Die EVG forderte ein einheitliches Laufzeitende, auch müsse das Angebot materiell nachgebessert werden. EVG-Ziel sei ein Abschluss bis zum 01.06.2015, ansonsten wollte die EVG durch nachhaltige Arbeitskampfmaßnahmen den Druck erhöhen.

In der 12. Verhandlungsrunde am 21.05 gelang dann eine Einigung mit der EVG in allen strukturellen Fragen sowie zur prozentualen Erhöhung und sozialen Komponente. Auf Arbeitgeberseite besteht jedoch noch interner Abstimmungsbedarf. Am 27.05. kam es zum Abschluss zwischen der DB AG und der EVG:

  • 1.100 € Pauschale für August 2014 bis Juni 2015
  • 3,5 %, mind. 80 €/mtl. ab 01.07.2015
  • 1,6 % Stufenerhöhung, mind. 40 €/mtl. ab 01.05.2016
  • Laufzeit: 26 Monate bis 30.09.2016
  • Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen im Dienstleistungsbereich beim Laufzeitende und den Erhöhungsschritten.

Darüber hinaus wurden folgende Abkommen vereinbart:

  • Tarifvertrag für EVG-Lokomotivführer
  • Aufwertung der Tätigkeit der Lokrangierführer
  • Tarifierung des Berufes „Transportlogistiker“
  • Vereinbarung eines Tarifvertrags "Arbeit 4.0" u. a. zur Einführung eines neuen flexibleren Vergütungssystems zum 01.01.2016 sowie zur Gestaltung der Veränderungen der Arbeitswelt durch zunehmende Digitalisierung
  • Vereinbarung zur Überarbeitung der Struktur der Arbeitszeitkonten.

Wichtig ist ferner die Vereinbarung für kollisionsfreie Tarifverträge innerhalb der DB AG. Bestandteil des Abschlusses ist eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, wonach es auch künftig ausschließlich kollisionsfreie Tarifverträge innerhalb der DB AG geben soll. Im Zweifel besteht für die EVG ein Sonderkündigungsrecht, das es erlaubt, „eine drohende Spaltung der Belegschaft zu verhindern“, so die EVG (Pressemitteilung vom 27.05.2015). Insgesamt zeigte sich die EVG mit dem erzielten Ergebnis sehr zufrieden. Die eigenen Positionen habe man „in allen Punkten durchgesetzt“. Besonders hervorgehoben wurde die soziale Komponente, die dazu führe, dass alle Beschäftigten mindestens 120 € im Monat mehr erhalten. Wichtig sei auch die Vereinheitlichung der Laufzeit aller Verträge.

Parallel zu den Tarifgesprächen mit der EVG verhandelte die Bahn mit der GDL. Der Gesprächsverlauf und die dabei auftretenden Konflikte sind angesichts der Komplexität der Materie und auf Grundlage der teils wenig aussagekräftigen Äußerungen und Pressemeldungen der Tarifparteien nur schwer im Einzelnen nachzuvollziehen. Ende Januar vereinbarten beide Parteien die von der DB AG angebotenen Einmalzahlungen für 2014. Anfang Februar legte die DB AG einen Vorschlag für einen Flächentarifvertrag vor, der für alle von der GDL vertretenen Berufsgruppen gelten sollte. Die Gewerkschaft lehnte ihn ab, weil er den bestehenden Bundesrahmentarifvertrag für die Lokführer in Frage stelle. Am 18.02.2015 beschlossen die Gremien der GDL erneut Streiks, weil die Bahn nicht bereit sei, Tarifverträge für das Zugpersonal abzuschließen, die von denen der EVG abweichen. Nach zweitägigen Spitzengesprächen am 22./23.02. begannen am 26.02. inhaltliche Verhandlungen über Entgelte und Arbeitszeit aller von der GDL vertretenen Berufsgruppen.

Übersicht 2: Streiks der GDL bei der Deutschen Bahn AG im Jahr 2015

21.04. - 24.04. (15.00 - 9.00 Uhr)

Güterverkehr

22.04. - 23.04. (2.00 - 21.00 Uhr)

Personenverkehr

04.05. - 10.05. (15.00 - 9.00 Uhr)

Güterverkehr

05.05. - 10.05. (2.00 - 9.00 Uhr)

Personenverkehr

19.05. - 21.05. (15.00 - 19.00 Uhr)

Güterverkehr

20.05. - 21.05. (2.00 - 19.00 Uhr)

Personenverkehr

Quelle: WSI-Tarifarchiv

Mitte April standen die Verhandlungen auf der Kippe: Die DB AG sprach von weitgehendem Einvernehmen und einem verbesserten Angebot, die GDL dagegen von einer „Rolle rückwärts“ und einer Umwandlung des Angebots in eine „rechtlich unverbindliche Absichtserklärung“ (Pressemitteilung vom 17.04.2015). Die Gewerkschaft rief daher zum Streik im Güter- und Personenverkehr auf (siehe Übersicht 2). Nach einem Spitzengespräch am 29.04. rief die GDL erneutet zum Streik auf, der vom 04.05. bis 10.05.  dauerte. Sie warf der DB AG vor, den Tarifabschluss bis zum Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes verschleppen zu wollen. Den Vorschlag der DB AG  für ein Schlichtungsverfahren wies sie zurück. Am 06.05. schlug die Bahn vor, den früheren Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg als unabhängige Persönlichkeit an den weiteren Verhandlungen zu beteiligen. Die GDL könne eine weitere Person benennen.

Weitere vertrauliche Gespräche und Verhandlungen vom 15. bis 17.05. blieben ohne Ergebnis und endeten mit wechselseitigen Vorwürfen. Die GDL rief erneut zum Streik vom 19.05. – 21.05. auf. Am 21.05. einigten sich beide Tarifparteien dann auf ein Schlichtungsverfahren, nachdem zuvor ein zweitägiges Rechtsgespräch unter der Moderation des ehemaligen Bundesarbeitsrichters Klaus Bepler stattgefunden hatte. Die Schlichtung begann am 27.05. und stand unter der Leitung von Matthias Platzeck und dem Ministerpräsidenten von Thüringen. Sie wurde mehrfach verlängert und führte am 30.06. zu einem erfolgreichen Abschluss. GDL und DB AG stimmten dem Schlichterspruch zu.

In Bezug auf das Entgelt beinhaltet er die Übernahme des Abschlusses mit der EVG:

  • 350 € Pauschale neben der bereits geleisteten Vorschusszahlung
  • 3,5 %, mind. 80 €/mtl. ab 01.07.2015
  • 1,6 % Stufenerhöhung, mind. 40 €/mtl. ab 01.05.2016
  • Laufzeit: 27 Monate bis 30.09.2016.

Der Abschluss umfasst weiterhin u. a. einen Bundesrahmentarifvertrag für das GDL-Zugpersonal und vier DB-Haustarifverträge für Lokführer, Zugbegleiter/Bordgastronomen, Disponenten und Lokrangierführer: Der neue „BuRa-ZugTV“ umfasst nach Angaben der Tarifparteien übergeordnete Themen wie Entgelt und Arbeitszeit. In den Haustarifverträgen sollen die DB-spezifischen Regelungen abgebildet werden. Des Weiteren wurde ein Programm zur Reduzierung der Belastung von Lokführern vereinbart. Die Referenzarbeitszeit soll von 39 auf 38 Std./Woche abgesenkt werden, allerdings erst ab 2018. Aus Sicht der Bahn bleibt damit „genügend Zeit, dies in den nächsten Tarifverhandlungen ab 2016 zu berücksichtigen“ (Presseinformation vom 01.07.2015).

Wichtig dürfte aus Sicht der GDL vor allem die Langfrist-Garantie sein, als Tarifpartner der DB AG mindestens bis 2020 anerkannt zu werden. Der Preis dafür ist ein verbindliches Schlichtungsverfahren. Künftig kann die Schlichtung nicht nur einvernehmlich von beiden Seiten, sondern auch nur von einer Seite angerufen werden, wenn die Verhandlungen gescheitert sind oder Streiks angekündigt werden. Eine Streiktaktik, wie sie in diesem Tarifkonflikt verfolgt wurde, ist damit nicht mehr möglich.

Die Bewertung des Abschlusses der GDL fällt erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus. Die Gewerkschaft selbst gibt sich zufrieden: „Diese Tarifabschlüsse sind wegweisend für faire Lohn- und Arbeitszeitbedingungen für das Zugpersonal in ganz Deutschland.“ (Pressemitteilung vom 01.07.2015). Die Deutsche Bahn AG betonte dagegen: „Alle Ergebnisse und Vereinbarungen fügen sich inhaltlich in die bestehenden Regelungen ein. Damit erreichen wir unser Ziel, für ein und dieselbe Berufsgruppe nicht nach Gewerkschaftszugehörigkeit unterscheiden zu müssen, wenn es um Arbeitszeit, Pausenregelungen oder Vergütung geht“ (Presseinformation vom 01.07.2015). Und die EVG begrüßte lapidar „die völlige Übernahme unseres Tarifergebnisses in die Tarifverträge mit der GDL, dadurch wurde die drohende tarifliche Spaltung einzelner Beschäftigtengruppen verhindert" (Pressemitteilung vom 01.07.2015).

Quelle: WSI Tarifpolitischer Halbjahresbericht 2015 

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