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Tarifrunde 2008: Stahlindustrie

Bereits zum dritten Mal in Folge konnte in der Stahlindustrie ein tarifpolitisches Ergebnis vereinbart werden, das sich deutlich aus dem tarifpolitischen Umfeld abhebt.

Der vorangegangene Abschluss vom September 2006 hatte eine Pauschalzahlung von 500 €, eine Tarifanhebung von 3,8 % und eine zusätzliche Einmalzahlung von 750 € beinhaltet. Er lief Ende Januar 2008 aus. Angesichts der weiterhin hervorragenden Branchenkonjunktur (IG Metall 2007) stellte die IG Metall im Dezember 2007 für die Stahlindustrie in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen sowie Ostdeutschland folgende Tarifforderungen auf, die sie unter die Überschrift "Mehr Geld und humanere Arbeitsbedingungen" stellte: 
 

  • Erhöhung der tariflichen Löhne und Gehälter um 8,0 % ab Februar 2008 mit einer Laufzeit von 12 Monaten
  • Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 100 €; sie waren bei den Tarifrunden 2005 und 2006 aufgrund eines zusätzlichen Angebotes von Ausbildungsplätzen nicht erhöht worden
  • Einführung eines zusätzlichen freien Arbeitstages pro Kalenderjahr für Beschäftigte ab dem 50. Lebensjahr unter Fortzahlung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes
  • weitere Verhandlungen zu einem "Gemeinsamen Entgeltrahmentarifvertrag (GERT)"

In der ersten Verhandlung am 21.1.2008 für die westdeutschen Tarifgebiete stießen die gewerkschaftlichen Forderungen erwartungsgemäß auf scharfe Kritik der Stahlarbeitgeber. Zwar räumten sie eine anhaltende Sonderkonjunktur ein, betonten aber die wachsenden Risiken des Stahlmarktes und stellten heraus, dass die Beschäftigten bereits mit Sondervergütungen an den steigenden Gewinnen beteiligt würden. Die IG Metall machte frühzeitig Druck auf die Arbeitgeber. Nachdem auch die zweite Verhandlungsrunde am 29.1. ohne Arbeitgeberangebot blieb, begann sie unmittelbar nach Ende der Friedenspflicht am 30.1. mit Warnstreiks. Bis zur nächsten Verhandlungsrunde nahmen über 16.000 Beschäftigte aus 58 Betrieben der Stahlindustrie an Warnstreiks mit einer Dauer von bis zu acht Stunden teil. Die IG Metall kündigte außerdem bereits für Mitte Februar Urabstimmung und Streiks an, falls es bis dahin nicht zu einem akzeptablen Tarifergebnis komme. Die Arbeitgeber legten daraufhin am 12.2. ein erstes Angebot vor: Danach sollten die Löhne und Gehälter um 3,5 % angehoben werden bei einer Laufzeit von 16 Monaten bis Ende Mai 2009. Die IG Metall lehnte das Angebot ab. Das Angebot sei viel zu niedrig, in der Laufzeit deutlich zu lang und damit in Gänze inakzeptabel. So provozierten die Arbeitgeber nur weitere massive Warnstreiks. Tatsächlich startete die Gewerkschaft eine zweite Warnstreikwelle, an der sich mehr als 20.000 Beschäftigte beteiligten. Insgesamt lag die Beteiligung nach Gewerkschaftsangaben mit knapp 40.000 Beschäftigten doppelt so hoch wie im Jahr 2006. Am 19.2. fand die vierte Verhandlungsrunde statt, die mit folgendem Ergebnis endete, das am 21.2. auch für die ostdeutsche Stahlindustrie übernommen wurde:

  • 200 € Pauschale für Februar 2008
  • Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter um 5,2 % ab dem 1.3.2008
  • Erhöhung der Ausbildungsvergütungen in allen Ausbildungsjahren um jeweils 70 €
  • Laufzeit von insgesamt 14 Monaten bis zum 31.3.2009
  • Vereinbarung über den Abschluss der GERT-Verhandlungen bis Ende Juni 2009

Eine Verkürzung der Arbeitszeit für Ältere konnte die IG Metall nicht durchsetzen. Materiell bewertete die Gewerkschaft den Abschluss sehr positiv. Es handele sich um das beste Ergebnis seit 15 Jahren. Tatsächlich wurde der letzte höhere Abschluss im Jahr 1991 vereinbart. Die Tarifkommission stimmte dem Ergebnis daher auch einstimmig zu. Die Stahlarbeitgeber waren weniger zufrieden. Ihr Vorsitzender Helmut F. Koch machte deutlich, dass vor allem der angedrohte Streik zu diesem Ergebnis geführt habe. Er hätte "gravierende Auswirkungen" gehabt, die man habe vermeiden wollen. Weitere Verhandlungen seien jedoch "nicht erfolgversprechend" gewesen. Für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) warnte deren Präsident Dieter Hundt, dass dieser Abschluss "auf keinen Fall" auf andere Branchen übertragen werden dürfe (BDA-Pressemeldung vom 20.2.2008). Gleichwohl war die "Stahl-Vorlage" (FAZ vom 21.2.2008) in der Welt und entfaltete ihre zumindest mittelbare Orientierungswirkung.


Quelle: WSI-Tarifbericht 1. Halbjahr 2008

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