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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2007: Ein kurzer Überblick

Ein widersprüchliches Bild kennzeichnet die tarifpolitische Entwicklung im ersten Halbjahr 2007. Einerseits gelang den Gewerkschaften die Durchsetzung von Tarifabschlüssen mit deutlichen Reallohnsteigerungen. In der chemischen Industrie und in der Metall- und Elektroindustrie konnten die Gewerkschaften an die positive Entwicklung des Vorjahres anknüpfen und Tarifabschlüsse durchsetzen, die den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum weitgehend ausschöpften.

Dies schlug sich auch positiv in anderen Tarifabschlüssen nieder. Die Tarifwende vollzieht sich allerdings nicht ohne harte Konflikte: Dies zeigen insbesondere die Arbeitskämpfe im Bauhauptgewerbe und bei der Deutschen Bahn, sowie die umfangreichen Warnstreiks, die den Abschlüssen in der Metallindustrie und in der Druckindustrie vorausgingen. In manchen Branchen mussten die Gewerkschaften auch deutlich niedrigere Abschlüsse hinnehmen. Der Konflikt bei der Deutschen Telekom AG belegt, dass in manchen Bereichen auch in Zeiten des Aufschwungs bestehende Tarifstandards unter starken Druck geraten.

Rahmenbedingungen

Die ökonomischen Rahmenbedingungen der Tarifrunde entwickelten sich sehr positiv. Zu Jahresbeginn konstatierte das Statistische Bundesamt für 2006 ein kräftiges Wachstum von 2,5 %, das den Prognosen der Mehrheit der Forschungsinstitute zufolge in diesem Jahr noch zulegen und auch im nächsten Jahr anhalten soll (vgl. z.B. IMK 2007). Der Arbeitsmarkt belebte sich überraschend stark, die Unternehmensgewinne sprudelten weiter kräftig, so dass sich das Druckpotenzial der Gewerkschaften in dieser Tarifrunde deutlich erhöhte. Unterstützung für die gewerkschaftlichen Forderungen gab es auch im politischen Raum. Seitens der EZB und einiger Wirtschaftsinstitute gab es die erwartbaren Warnungen vor "überzogenen" Lohnabschlüssen, sie konnten aber die bei den Beschäftigten und in der Öffentlichkeit weit verbreitete Erwartungshaltung, dass nach Jahren mäßiger Lohnabschlüsse nun die Zeit für eine spürbare Reallohnerhöhung gekommen sei, nicht beeinflussen.

Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften fielen in dieser Tarifrunde höher aus als im Vorjahr. An der Spitze stand die Gewerkschaft Transnet mit einer Tarifforderung von 7,0 % für die Beschäftigten der Deutschen Bahn AG. Die IG Metall forderte für ihre Hauptbranche, die Metall- und Elektroindustrie, ein Tarifplus von 6,5 %. Dieselbe Forderung wurde auch in der Holz- und Kunststoffindustrie und im Druckgewerbe aufgestellt. In anderen Branchen blieben die Tarifforderungen mit 4,5 bis 5,5 % zum Teil deutlich darunter (Übersicht 1).

Übersicht 1: Tarifforderungen in der Tarifrunde 2007
in ausgewählten Tarifbereichen

Bauhauptgewerbe

5,5 %

Chemische Industrie

nicht beziffert

Deutsche Bahn AG

7,0 %, mind. 150 €/Mon.

Druckindustrie

6,5 %

Einzelhandel Nordrhein-Westfalen

4,5 %, Mindesteinkommen 1.500 €/Mon.

Energiewirtschaft Ost (AVEU)

6,0/6,4 % (ver.di/IG BCE)

Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen

6,0 %, mindestens 125 €/Mon.

Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie

6,5 %

Kfz-Gewerbe Nordrhein-Westfalen

5,0 %

Metallindustrie

6,5 %

Nahrung-Genuss-Gaststätten

4,0 - 5,5 %

Schrott- und Recyclingwirtschaft

7,0 %

Textilindustrie Ost

5,0 %

Versicherungen (Innendienst)

6,5 %

Zeitarbeit (iGZ)

60 € vorweg und 5,0 %

Quelle: WSI-Tarifarchiv

Den ersten großen Abschluss gab es am 8.3.2007 in der chemischen Industrie (vgl. hierzu und im Folgenden Übersicht 2). Nach einer Pauschalzahlung von 70 € folgt eine Tarifanhebung um 3,6 % sowie eine zusätzliche Einmalzahlung von 0,7 % eines Monatsentgelts jeweils für 13 Monate (vgl. Punkt 3.1). Rund zwei Monate später, am 4.5.2007, folgte der die Tarifrunde prägende Pilotabschluss in der baden-württembergischen Metallindustrie. Er sieht eine Pauschalzahlung von insgesamt 400 € für die beiden ersten Monate (April und Mai) sowie eine Tariferhöhung von 4,1 % ab dem 1.6.2007 vor. Ein Jahr später folgt eine Stufenerhöhung von 1,7 % mit einer Laufzeit bis Ende Oktober 2008. Zusätzlich gibt es für Juni bis Oktober 2008 eine Einmalzahlung von jeweils 0,7 % (vgl. Punkt 3.2).

Im Bauhauptgewerbe wurde eine erste Einigung von den ostdeutschen Verbänden nicht akzeptiert. Das Ergebnis der anschließenden Schlichtung wurde von den regionalen Arbeitgeberverbänden des Baugewerbes in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gekippt, so dass die IG BAU nach einer erfolgreichen Urabstimmung in diesen Bereichen zum Arbeitskampf aufrief. Nach rund 2 Wochen Streik einigten sich die Tarifparteien Anfang Juli auf die Übernahme des leicht modifizierten Schlichtungsergebnisses (vgl. Punkt 3.3).

Bei der Deutschen Bahn AG rief die Tarifgemeinschaft von Transnet und GDBA nach einem mageren Arbeitgeberangebot zu Warnstreiks auf, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) forderte einen gesonderten Spartentarifvertrag für das Fahrpersonal mit Gehaltssteigerungen um bis zu 30 % und bekräftigte diese Forderung ebenfalls mit einem massiven Warnstreik. Zum Redaktionsschluss lag noch keine Einigung vor.

Bei der Deutschen Telekom AG musste ver.di deutliche Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in dem neu gegründeten Bereich T-Service akzeptieren: Die Tarifvergütungen werden stufenweise um 6,5 % gesenkt und die Arbeitszeit zugleich von 34 auf 38 Stunden/Woche erhöht. Allerdings erreichte die Gewerkschaft nach langem Arbeitskampf weit reichende finanzielle Absicherungen, so dass die monatlichen Vergütungen der Beschäftigten, die zu den T-Service-Gesellschaften wechseln, zunächst gleich bleiben. Außerdem wurden ein Kündigungsschutz bis zum Jahr 2012 sowie ein Ausgründungsverzicht bis Ende 2010 vereinbart und zahlreiche tarifvertragliche Regelungen der Deutschen Telekom übernommen. Für die (verbleibenden) Beschäftigten der Deutschen Telekom werden die Vergütungstarifverträge, die Ende Juli dieses Jahres ausgelaufen wären, bis Ende 2008 unverändert verlängert.

Übersicht 2: Ausgewählte Lohn- und Gehaltsabschlüsse
West und Ost für 2007

 

Ab­schluss Tarifbereich Ergebnis

08.03.2007

Chemische Industrie

70 € Pauschale für den jew. 1. Monat

3,6 % regional unterschiedlich ab 02/03/04/2007 für 13 Monate, zusätzliche Einmalzahlung von 0,7 % eines ME, multipliziert mit 13, zahlbar spätestens am 30.06.07

27.03.2007

Textilindustrie Ost

nach 2 Nullmonaten (April und Mai)

3,0 % ab 01.06.07

2,7 % Stufenerhöhung ab 01.07.08, Laufzeit bis 31.03.09

03.04.2007

Kfz-Gewerbe
Nordrhein-Westfalen

50 € Pauschale für März

2,5 % ab 01.04.07, Laufzeit bis 29.02.08

23.04.2007

Energie- und Versorgungs-
wirtschaft
Ost (AVEU)

3,1 % ab 01.04.07, Laufzeit bis 30.04.08

04.05.2007

Metallindustrie (Pilotabschluss)
Baden-Württemberg

400 € Pauschale insg. für April und Mai

4,1 % ab 01.06.07

1,7 % Stufenerhöhung ab 01.06.08; zusätzliche Einmalzah-lung von 0,7 % eines ME (unter Berücksichtigung des U-Geldes) für Juni - Oktober 2008, zahlbar im August 2008, Laufzeit bis 31.10.08

04.05.2007

Süßwarenindustrie
Baden-Württemberg

2,4 % ab 01.07.07
2,3 % Stufenerhöhung ab 01.07.08, Laufzeit bis 30.06.09

14.05.2007

Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie Westfalen-Lippe

300 € Pauschale insg. für Mai - Juli

3,6 % ab 01.08.07

345 € zusätzliche Einmalzahlung insg. für Juni - August 2008

2,5 % Stufenerhöhung ab 01.09.08, Laufzeit bis 30.04.09

15./16.05.2007

Papier erzeugende Industrie

alle West-Bereiche

nach 2 Nullmonaten (März und April)

3,2 % ab 01.05.07

2,0 % Stufenerhöhung ab 01.05.08, 95 € zusätzliche Einmalzahlung im Juni 2007, Laufzeit bis 30.09.08

19.05.2007

Bauhauptgewerbe

Schlichtungsergebnis (am 04.07. auch von den Arbeitgeberverbänden Schleswig-Holstein und Niedersachsen akzeptiert):

nach 2 Nullmonaten (April und Mai)

3,1 % ab 01.06.07

1,5 % Stufenerhöhung ab 01.04.08

1,6 % Stufenerhöhung ab 01.09.08

zusätzlich 0,4/0,5 % eines ME ab 01.06.07/01.04.08 als mtl. Festbetrag,
Laufzeit bis 31.03.09

24.05.2007

Hotels und Gaststätten Bayern

nach 2 Nullmonaten (April und Mai)

2,2 % ab 01.06.07, Laufzeit bis 30.04.08

06.06.2007

Druckindustrie

nach 3 Nullmonaten (April - Juni)

3,0 % ab 01.07.07

2,1 % Stufenerhöhung ab 01.07.08, Laufzeit bis 31.03.09

20.06.2007

Groß- und Außenhandel Bayern

nach 3 Nullmonaten (April - Juni)

2,4 % + 15,50 € mtl. ab 01.07.07

2,0 % Stufenerhöhung + 7,50 € mtl. ab 01.06.08, Laufzeit bis 31.03.09

20.06.2007

Deutsche Telekom AG

im Rahmen des Tarifkompromisses für den Bereich T-Service:

Unveränderte Verlängerung der Vergütungstarifverträge der Deutschen Telekom vom 01.08.2007 bis zum 31.12.2008

Quelle: WSI-Tarifarchiv Stand: 5.7.2007

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