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Tarifrunde 2010: Chemische Industrie

Die Tarifrunde in der chemischen Industrie folgte in weiten Teilen dem Muster der vergangenen Jahre und wurde zugleich von der vorlaufenden Metalltarifrunde beeinflusst.

Die IG BCE verzichtete auf laute Töne im Vorfeld ebenso wie auf konkrete Festlegungen, was die Entgeltforderung betraf, was jedoch anders als in der Metallindustrie keine Besonderheit darstellt. Auch ihr ging es maßgeblich um Beschäftigungssicherung, allerdings betonte sie bereits sehr früh, dass die Entgeltfrage aus ihrer Sicht ebenfalls eine wichtige Rolle spielte.

In der chemischen Industrie begann die eigentliche Tarifrunde erst, als die Abschlüsse für die Metallindustrie und den öffentlichen Dienst bereits vorlagen. Trotzdem setzte auch in dieser Branche die innergewerkschaftliche Diskussion relativ früh ein. Am 23.11.2009 veröffentlichte der Hauptvorstand der IG BCE seine Forderungsempfehlung, die er unter das Motto "Chancen für Beschäftigung nutzen" stellte. Damit setzte auch die IG BCE den Akzent auf Beschäftigungssicherung. Betriebsbedingte Kündigungen habe man weitgehend ausschließen können, dieser Weg sollte auch in der Tarifrunde 2010 fortgesetzt werden. Durch die Weiterentwicklung des Tarifvertrages "Zukunft durch Ausbildung" sollten zudem die Berufsperspektiven für junge Menschen verbessert werden. Und schließlich empfahl der Vorstand die Forderung nach einer "angemessenen Einkommenserhöhung". Die Beschäftigten hätten durch Kurzarbeit und Nutzung von Öffnungsklauseln1 einen hohen Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet. Angesichts der wieder anziehenden Inflation sei eine Nullrunde nicht akzeptabel. Eine Steigerung der Kaufkraft der Arbeitnehmer sei auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Für 2010 zeichne sich eine bessere, wenn auch nicht dynamische, weltweite Chemiekonjunktur ab, von der die deutschen Chemieunternehmen profitieren dürften. Die Chemie-Arbeitgeber wiesen die Entgeltforderungen zurück. In der nach wie vor schwierigen konjunkturellen Lage schade jede zusätzliche Kostenbelastung der notwendigen Erholung. Angesichts der stark gestiegenen Lohnstückkosten gebe es keinerlei Spielraum für Entgeltsteigerungen (BAVC-Pressemeldung vom 23.11.2009). Die endgültige Tarifforderung der IG BCE orientierte sich an der Forderungsempfehlung, die Laufzeit des neuen Vertrages sollte maximal 12 Monate betragen. Die Verträge liefen regional unterschiedlich Ende März, April und Mai aus.

Im Vorfeld der Verhandlungen betonte IG BCE-Vorstandsmitglied Hausmann, dass man nicht den Weg der Metallindustrie gehen wolle, das Bild in der chemischen Industrie sei "bunter" als in der Metallindustrie, wo die Lage "eher grau in schwarz" sei. Für Betriebe, denen es sehr gut gehe, wolle man einen Extra-Zuschlag durchsetzen. Wie bereits in den vergangenen Jahren fand die erste Verhandlungsrunde auf regionaler Ebene statt. Sie begann am 16.3.2010 für Rheinland-Pfalz und Saarland, gefolgt von Terminen am 17.3. (Hessen), 18.3. (Nordrhein), 19.3. (Baden-Württemberg), 22.3. (Bayern), 23.3. (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen), 25.3. (Westfalen) und 26.3. (Berlin und Bundesgebiet Ost). Bereits in der anschließenden ersten zentral geführten Verhandlungsrunde am 20./21.3. einigten sich die Tarifparteien auf einen Abschluss. Er umfasst folgende Elemente:

Entgelt:

  •  Einmalzahlungen von insgesamt 550/611/715 € für Beschäftigte in Normal-/teil-/vollkontinuierlicher Schicht, zahlbar bis 30.06.10,
  • aus wirtschaftlichen Gründen ist ein Kürzen oder Verschieben der Zahlung möglich,
  • die Entgelt-Tarifverträge werden, regional unterschiedlich ab 01.04, 01.05. und 01.06.10 für jeweils 11 Monate wieder in Kraft gesetzt,
  • zusätzliche Einmalzahlung von bis zu 260 € für Beschäftigte in Betrieben, die nicht wesentlich von der Finanz-/Wirtschaftskrise 2008/2009 betroffen waren oder sind.  

Ausbildung:
Der Tarifvertrag "Zukunft durch Ausbildung" wurde fortgeschrieben. Er enthält u. a. die Verpflichtung der Arbeitgeber, jeweils 9.000 Ausbildungsplätze im Durchschnitt der Ausbildungsjahre 2011, 2012 und 2013 anzubieten. Die Laufzeit des Vertrages endet am 31. Dezember 2013.

Zur Förderung der Übernahme nach der Ausbildung vereinbarten die Tarifparteien einen ab Mai 2010 gültigen Vertrag "Brücke in Beschäftigung". Betriebe, die trotz wirtschaftlich schwieriger Lage Ausgebildete übernehmen, können mit monatlichen Zuschüssen zum Entgelt von bis zu 1.000 € je Übernahme für max. ein Jahr unterstützt werden. Dazu leisten alle Betriebe der chemischen Industrie Zahlungen von insgesamt ca. 25 Mio. € in einen im Unterstützungsverein der chemischen Industrie (UCI) angesiedelten Fonds. Gefördert werden sollen nach Angaben der IG BCE nur Ausgelernte, die Mitglieder der Gewerkschaft sind.2

Beschäftigungssicherung:
Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten sich außerdem auf einen Maßnahmenkatalog zur Beschäftigungssicherung, mit dem betriebsbedingte Kündigungen soweit wie möglich vermieden werden sollen. Dazu gehören alle arbeitsmarktpolitischen und tarifvertraglichen Möglichkeiten wie u. a. Kurzarbeit, die Nutzung des Arbeitszeit- und Entgeltkorridors, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Außerdem kann der vorübergehende Einsatz in anderen Chemie-Betrieben (Personaltausch) genutzt werden. Dazu werden die Tarifparteien eine Rahmenregelung zur Verfügung stellen, die regional vereinbart werden kann. Als weitere Möglichkeit wurde die Einrichtung regionaler Netzwerke vereinbart u.a. zur Erfassung der Beschäftigungssituation und zur Entwicklung von Qualifizierungs- und Vermittlungsangeboten. Dabei soll auf die Institution und Erfahrung der regionalen runden Tische für Ausbildungs- und Arbeitsmarktfragen zurückgegriffen werden.

Die IG BCE wertete den Abschluss als "Brückenschlag von der Krise in den Aufschwung", der den unterschiedlichen Bedingungen der Branche gerecht werde. Die kurze Laufzeit ermögliche eine schnelle Reaktion, wenn die Konjunktur weiter und in Breite anzieht. Die Chemie-Sozialpartner seien ihrer Verantwortung gerecht geworden. Der BAVC sprach von einem "Krisen-Bündnis-Chemie", das gut für die Unternehmen und die Beschäftigten sei. Die "beträchtliche Höhe" der Einmalzahlungen müsse im Zusammenhang des Gesamtabschlusses gesehen werden, "der die Unternehmen dauerhaft entlastet" (BAVC-Presseinformation vom 21.04.2010).


1Im Jahr 2009 ist die Zahl der Firmen mit Abweichungen vom Tarifstandard nach Angaben der IG BCE um 200 auf einen Rekordwert von 347 gestiegen (Handelsblatt vom 16.03.2010).
2 In einer Stellungnahme wies der BAVC darauf hin, dass dies im Tarifvertrag so nicht vereinbart sei.

Quelle: WSI Tarifpolitischer Halbjahresbericht 2010 - Stand Juli 2010

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