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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2006: Streiks und Sozialtarifverträge

In zahlreichen Unternehmen kam es im vergangenen Jahr zu Konflikten um Betriebsschließungen und Beschäftigungssicherung. Prominente Beispiele sind die Insolvenz des Handy-Herstellers BenQ (früher Siemens) oder auch die angekündigte Schließung ganzer Standorte bei der Allianz AG.

In der Regel versuchen die Gewerkschaften in solchen Fällen durch betriebliche Vereinbarungen Regelungen zu Beschäftigungsgesellschaften, Sozialplänen etc. durchzusetzen. Im vergangenen Jahr hat die IG Metall in mehreren Unternehmen einen anderen Weg eingeschlagen und erfolgreich versucht, die Standorterhaltung, Beschäftigungssicherung bzw. soziale Absicherung bei Betriebsschließungen und Beschäftigungsabbau tarifvertraglich zu regeln und dies mit Hilfe von Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen.

Drei Streiks um Sozialtarifverträge seien hier aufgeführt.

AEG
Nach monatelangen Auseinandersetzungen um die Schließung des AEG-Werks in Nürnberg und einem mehr als sechswöchigen Streik einigten sich die IG Metall und Electrolux am 28.2.2006 auf einen Sozialtarifvertrag. Der Vertrag sieht neben sehr hohen Abfindungszahlungen für die betroffenen Beschäftigten auch die Einrichtung einer Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft vor. Die Schließung des Standortes konnte nicht abgewendet werden, dennoch gilt dieser Sozialtarifvertrag bei AEG aus Sicht der IG Metall als ein großer Erfolg.

CNH-Baumaschinen
In einem der längsten und härtesten Streiks in der Geschichte der Metallindustrie Berlins haben die Beschäftigten des Baumaschinenherstellers CNH einen Sozialplan und eine viermonatige Produktionsverlängerung bis Ende November 2006 erkämpft. Nach 107 Tagen Ausstand lenkte das Unternehmen Anfang Juni 2006 teilweise ein. Es stellte 29 Millionen Euro für einen Sozialplan und für eine Beschäftigungsgesellschaft bereit. Die geplante Verlagerung der Produktion konnte nicht verhindert werden.

Bosch-Siemens-Hausgeräte
Nach drei Wochen Streik, zahlreichen Aktionen und zähen Auseinandersetzungen führten Verhandlungen zwischen IG Metall, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie (VME) und Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) in Berlin am 18.10. zu einer Einigung: Der Beschluss zur Schließung des Produktionsstandortes in Berlin-Gartenfeld wurde zurückgenommen, die Fertigung allerdings auf rund die Hälfte reduziert; rund 270 von 570 Arbeitsplätzen blieben erhalten. Für weitere 130 Beschäftigte konnten die Arbeitsverhältnisse ebenfalls gesichert werden. Für diese insgesamt 400 ArbeitnehmerInnen gilt eine Beschäftigungssicherung bis zum 31.7.2010.

Verlauf und Ergebnisse dieser Konflikte, die hier nicht im Einzelnen analysiert werden können, waren durchaus unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen allerdings der Ansatz, unter bestimmten Voraussetzungen die Auseinandersetzung um die Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen konflikt- und streikfähig zu machen (vgl. Seebacher 2006). Das Instrument des Streiks um Sozialtarifverträge ist in der Folge auch zum Gegenstand heftiger Kritik der Arbeitgeberverbände geworden. So bezeichnete Gesamtmetall-Präsident Kannegießer diese "Vermischung von Tarifautonomie und Betriebsverfassung" als eine "böse Sackgasse" und insgesamt "höchst fragwürdig" (Osnabrücker Zeitung vom 4.3.2006). Die BDA erklärte Arbeitskämpfe für Tarifsozialpläne in Firmen, die Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind, für rechtswidrig und forderte eine entsprechende gesetzliche Klarstellung (BDA 2006, 46 f.). Diese Auffassung wurde u. a. durch das Hessische Landesarbeitsgericht (Urteil vom 2. Februar 2006) zurückgewiesen.

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