WSI GenderDatenPortal: Mitbestimmung: Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2021
Grafiken, Analyse, Tabellen (pdf)
Der Frauenanteil in deutschen Vorständen hat zwischen 2020 und 2022 einen deutlichen Sprung in den zweistelligen Bereich gemacht: Rund 13 Prozent aller Vorstandssitze in den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen werden aktuell von Frauen besetzt (vgl. Grafik 2).
Zwischen 2008 und 2021 ist der Frauenanteil in den Vorstandsetagen langsam aber kontinuierlich angestiegen. Die Gesamtzahl aller weiblichen Vorstandsmitglieder in den 160 Unternehmen stieg im Beobachtungszeitraum von 18 Frauen (2008) auf 93 Frauen (2021) und hat sich damit – ausgehend von sehr niedrigem Niveau –immerhin verfünffacht (vgl. Tab. 1.2).
Deutlich unterschiedliche Frauenanteile in den Vorständen ergeben sich je nach Unternehmensmitbestimmung, d.h. danach, ob es sich um Vorstände in „mitbestimmten“ oder „nicht-mitbestimmten“ Unternehmen handelt (ob also die Aufsichtsräte dieser Unternehmen, welche den Vorstand wählen, auch aus Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen zusammengesetzt sind oder nur aus Vertreter*innen der Anteilseigner*innen) (vgl. Grafik 1). In der Gruppe der 160 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland fallen die Frauenanteile in mitbestimmten Vorständen (14 Prozent) um 20 Prozent höher aus als in nicht-mitbestimmten Vorständen (11 Prozent): (1)
- Für mitbestimmte Unternehmen ist über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg immerhin eine Verfünffachung des Frauenanteils in den Vorständen zu konstatieren: 2009 stellten Frauen hier weniger als 3 Prozent der Vorstandsmitglieder, im Jahr 2021 sind es gut 14 Prozent.
- In nicht-mitbestimmten Unternehmen vollzog sich dieser Anstieg langsamer. Ausgehend von einem Anteil von 4 Prozent im Jahr 2009 hat sich der Frauenanteil innerhalb des Beobachtungszeitraums knapp verdreifach (2021: 11 Prozent).
Unterschiedliche Anteile weiblicher Vorstandsmitglieder ergeben sich je nach Börsenindex, zu dem ein Unternehmen gehört, also danach ob es in den Bereich des DAX40 (bis September 2021: DAX30), MDAX oder SDAX fällt (vgl. Grafik 2): Im Jahr 2021 ist insgesamt knapp jedes fünfte Vorstandsmitglied in einem DAX40-Unternehmen weiblich (18 Prozent). Die 40 größten deutschen Unternehmen weisen damit im Durchschnitt deutlich mehr weibliche Vorstandsmitglieder auf als die Unternehmen des MDAX oder SDAX (jeweils 11 Prozent).
Innerhalb des Beobachtungszeitraums lassen sich unterschiedliche Entwicklungsdynamiken der Unternehmen je nach Börsenindex beobachten: Die DAX30- bzw. inzwischen DAX40-Unternehmen haben insbesondere in den Jahren 2011 sowie 2017 große Schritte bei der Anhebung ihres Frauenanteils in Vorständen gemacht. Bei den Unternehmen aus MDAX und SDAX variiert die Entwicklung stärker, hier sind jedoch gerade in den letzten zwei Jahren ebenfalls aufholende Zuwächse im Frauenanteil erkennbar (vgl. auch Tab. 1.2).
Einfluss auf die Höhe des Frauenanteils in den Vorständen nimmt – auch innerhalb der jeweiligen Börsenindizes – zusätzlich die Form der Unternehmensmitbestimmung (vgl. Grafik 3). Am meisten weibliche Vorstandsmitglieder finden sich in mitbestimmten Unternehmen des DAX40, hier ist jeder 5. Vorstandssitz mit einer Frau besetzt.
- Grundsätzlich weisen mitbestimmte Unternehmen mehr weibliche Vorstandsmitglieder auf als nicht-mitbestimmte Unternehmen. Dies zeigt sich ganz besonders deutlich für MDAX-Unternehmen (13 Prozent Frauenanteil gegenüber 5 Prozent). Ähnlich gilt dies aber auch für die DAX40-Unternehmen, wobei der Vorsprung der mitbestimmten Unternehmen hier etwas kleiner ausfällt (19 Prozent gegenüber 16 Prozent).
- Lediglich für SDAX-Unternehmen gilt, dass nicht-mitbestimmte Unternehmen sogar einen höheren Frauenanteil im Vorstand vorweisen können als mitbestimmte.
Hintergrund: Das nur zögerliche Anwachsen des Frauenanteils in den Vorständen galt innerhalb des Beobachtungszeitraums lange Zeit für Unternehmen aus MDAX und SDAX, aber auch für die DAX30- bzw. inzwischen DAX40-Unternehmen. Wichtige Ursache hierfür ist, dass es in Deutschland bis vor kurzem keine verbindlichen Vorgaben zur Besetzung von Unternehmensvorständen nach Geschlecht gab. Auch die 2015 eingeführte gesetzliche Geschlechterquote gilt lediglich für Aufsichtsratsgremien (und dies auch nur für börsennotierte und zugleich paritätisch-mitbestimmten Unternehmen), nicht aber für die Vorstände.
Die ebenfalls 2015 eingeführte Verpflichtung für alle börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen, sich selbst Zielvorgaben für die Weiterentwicklung des Frauenanteils im Vorstand zu setzen (vgl. Glossar), hatte zunächst keinen durchschlagenden Effekt. Vielmehr hat sich eine große Zahl der Unternehmen daraufhin zunächst für die niedrigste zulässige Zielvorgabe entschieden.
- Im Jahr 2018 hatten zwei Drittel der 160 größten börsennotierten Unternehmen keine einzige Frau im Vorstand. Dennoch haben sich im Jahr 2018 insgesamt 79 Unternehmen entweder kein Ziel in Bezug auf ihre zukünftige Frauenquote gesetzt oder sich weiterhin für die Zielgröße „Null“ entschieden. (2)
- Demgegenüber hat sich die Situation bis Ende 2021 etwas verbessert: Mit 84 Unternehmen hat „nur“ noch gut die Hälfte der Unternehmen kein weibliches Vorstandsmitglied (darunter allerdings auch vier DAX40-Unternehmen). Gleichzeitig ist die Zahl der Unternehmen, die sich ausdrücklich die „Zielgröße Null“ für den anzustrebenden Frauenanteil im Vorstand setzen, von 79 auf 37 geschrumpft. (3) Darüber hinaus finden sich Ende 2021 in immerhin neun der 160 Unternehmen weibliche Vorstandsvorsitzende.
Nicht zuletzt wegen dieses langsamen Fortschritts trat im August 2021 mit dem sog. FüPoG II-Gesetz eine Regelung zur geschlechtlichen Mindestbesetzung in Vorständen in Kraft. (4) Sie verlangt von allen paritätisch-mitbestimmten Börsenunternehmen mit mehr als einem dreiköpfigen Vorstand – für alle Besetzungen im Vorstand ab dem 01. August 2022 – mindestens ein weibliches (bzw. ein männliches) Vorstandsmitglied (vgl. Glossar).
16 der hier betrachteten 160 Unternehmen können zum 31.12.2021 die neue gesetzliche Vorgabe gemäß FüPoG II noch nicht erfüllen, da keins ihrer Vorstandsmitglieder eine Frau ist, obwohl sie alle paritätisch-mitbestimmt sind und einen Vorstand mit mindestens vier Sitzen aufweisen.
Es handelt sich dabei um neun SDAX-Unternehmen, fünf MDAX-Unternehmen und zwei Unternehmen aus dem DAX40.
Problematisch bleibt, dass das FüPoG II-Gesetz nur für paritätisch-mitbestimmte Unternehmen gilt, nicht jedoch für drittelmitbestimmte bzw. nicht-mitbestimmte Unternehmen, obwohl 22 von ihnen ebenfalls einen mindestens vierköpfigen Vorstand aufweisen, in dem sich keine einzige Frau befindet. Auch hier bestünde Handlungsbedarf – der aber vom FüPoG II nicht erfasst wird.
Weitere Informationen (Definitionen wichtiger Begriffe und methodische Anmerkungen zur Datengrundlage) sind in den Pdf-Dateien enthalten, die zum Download bereitstehen.
Bearbeitung: Svenja Pfahl, Maike Wittmann
Literatur
Allbright Stiftung gGmbH (2018): Die Macht der Monokultur. Erst wenigen Börsenunternehmen gelingt Vielfalt in der Führung, Bericht September 2018, Berlin, letzter Zugriff 18.08.2022.
Allbright Stiftung gGmbH (2021): Aufbruch oder Alibi? Viele Börsenvorstände erstmals mit einer Frau, Bericht September 2021, Berlin, letzter Zugriff 18.08.2022
BMAS (2019): Mitbestimmung – Eine gute Sache. Alles über die Mitbestimmung und ihre rechtlichen Grundlagen, Bonn, letzter Zugriff 18.08.2022.
DGB Bundesvorstand (2015): Offensive Mitbestimmung. Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, Reihe: diskurs, Berlin, letzter Zugriff 18.08.2022.
Frankfurter Börse (o. J.): Börsenlexikon, www.boerse-frankfurt.de/wissen/dictionary, letzter Zugriff 18.08.2022.
Hans-Böckler-Stiftung (2021): Mitbestimmungsportal, Ressourcen & Tools für den Aufsichtsrat, letzter Zugriff 18.08.2022.
Hans-Böckler-Stiftung (2018): Mehr Quote wagen. In: Böckler Impuls, 04/2018, S.1, letzter Zugriff: 18.08.2022.
Hans-Böckler-Stiftung (2015): Mitbestimmungsportal, Wissen kompakt. Häufige Fragen: Geschlechterquote, letzter Zugriff 18.08.2022.
Kirsch, Anja / Wrohlich, Katharina (2020): Mehr Frauen in Aufsichtsräten: Hinweise für Strahlkraft der Geschlechterquote auf Vorstände verdichten sich. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 04/2020, S.50-55, letzter Zugriff 18.08.2022.
Pfahl, Svenja / Wittmann, Maike (2022): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2021. In: WSI GenderDatenPortal.
Pfahl, Svenja / Wittmann, Maike (2022): Frauen in Aufsichtsräten nach Anteilseigner- bzw. Arbeitnehmer/innen-Seite 2009-2021. In: WSI GenderDatenPortal.
Sondergeld, Virginia / Wrohlich, Katharina (2021): Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen: Einige Unternehmen sind neuem Gesetz bereits zuvorgekommen. In: DIW Aktuell Nr. 65/2021, S.1-7, letzter Zugriff 18.08.2022.
Weckes, Marion (2019): Strahlungsarmes „Quötchen“. Die Geschlechterverteilung in Aufsichtsrat und Vorstand 2019, Report Nr. 48, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 18.08.2022.
Weckes, Marion (2015): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten, Report Nr. 10, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 18.08.2022.
Weckes, Marion (2011): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten in den 160 börsennotierten Unternehmen (Dax-30, M-Dax, S-Dax, Tec Dax) zum 31. Januar 2011, Arbeitspapier, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 18.08.2022.
Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S.43, letzter Zugriff 18.08.2022.
(1) Dieser Effekt zeigt sich in ähnlicher Weise auch für die Gleichstellung in Aufsichtsräten, vgl. Pfahl, Svenja/ Wittmann, Maike (2022): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2021. In: WSI GenderDatenPortal.
(2) Vgl. Allbright Stiftung gGmbH (2018): Die Macht der Monokultur. Erst wenigen Börsenunternehmen gelingt Vielfalt in der Führung, Bericht September 2018, Berlin, S.8.
(3) Vgl. die namentliche Nennung aller 37 von 160 Unternehmen, die eine Zielgröße „Null“ für den zukünftigen Frauenanteil im Vorstand planen (Stand: September 2021), in: Allbright Stiftung gGmbH (2021): Aufbruch oder Alibi? Viele Börsenvorstände erstmals mit einer Frau, Bericht September 2021, Berlin, S. 8.
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