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Die EU-Richtlinie zur Entgeltgleichheit bringt großen Änderungsbedarf für Deutschland mit sich.

Andrea Jochmann-Döll/Elisa Rabe/Johannes Specht, 15.09.2023: Entgeltgleichheit in Deutschland: Richtlinie der EU gibt neue Impulse

Innerhalb von drei Jahren muss die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz in deutsches Recht umgesetzt werden. Damit werden betrieblichen Akteur*innen und der Tarifpolitik mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben, Entgeltgleichheit durchzusetzen.

Gibt die „Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Durchsetzungsmechanismen“, kurz Entgelttransparenzrichtlinie, einen Impuls zur Verwirklichung der Entgeltgleichheit der Geschlechter in Deutschland?  Innerhalb von drei Jahren muss die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Dies wird Änderungen am deutschen Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) erfordern, die die Möglichkeiten für die Durchsetzung der Entgeltgleichheit in Deutschland wesentlich erweitern und die Rahmenbedingungen für alle Akteur*innen in den Arbeitsbeziehungen – Unternehmen und Arbeitgeberverbände, Betriebsräte und Gewerkschaften – neu aufstellen werden. Wichtige Neuerungen also für die gleichstellungspolitische Arbeit in den Betrieben und Tarifabteilungen von Gewerkschaften.

Inhalte der neuen Richtlinie und daraus folgende Änderungen des Entgeltransparenzgesetzes

Was sind die wesentlichen Inhalte der Richtlinie RL 2023/970? Sie verpflichtet Arbeitgeber*innen bereits während der Suche und Auswahl von Beschäftigten zur Entgelttransparenz. Das Einstiegseinkommen für eine Stelle muss in der Ausschreibung genannt oder den Bewerber*innen anderweitig vor dem Vorstellungsgespräch zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Regelung enthält das EntgTranspG bislang nicht.

Der Auskunftsanspruch von Beschäftigten ist nach der Richtlinie nicht auf große Unternehmen begrenzt, während er in Deutschland bislang nur für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten desselben Arbeitgebers besteht. Nach deutschem Recht ist aktuell eine Vergleichsgruppe von mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts erforderlich. Nach der EU-Richtlinie hingegen muss der Entgeltvergleich zwischen allen Personen ermöglicht werden, deren Entgeltsystem von derselben „Quelle“ (bspw. demselben Tarifvertrag) geregelt wurde. Außerdem ermöglicht die Richtlinie, sich auch mit einer hypothetischen Vergleichsperson zu vergleichen. Die Richtlinie sieht weiter vor, dass Angaben über die durchschnittlichen Entgelte von Vergleichspersonen gemacht werden, während das EntgTranspG Auskünfte über das Medianentgelt vorsieht.

Das alles sind Aspekte, die Potential bergen, deutlich mehr Licht in den Schatten der Vergleichbarkeit der Entgelte von Männern und Frauen in den Betrieben zu werfen. Und ohne harte Fakten ist die Einforderung von gleichen Entgelten bisher kaum möglich.  

Die Richtlinie beschreibt zudem, dass betriebliche Prüfverfahren bzw. Berichte über geschlechterbezogene Entgeltdifferenzen zukünftig (in Stufen) bereits für Unternehmen ab 100 Beschäftigten verpflichtend vorgesehen sein müssen. Wenn in einer Prüfung eine Entgeltlücke von fünf Prozent oder darüber für eine Gruppe von Beschäftigten mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit festgestellt wurde, muss eine gemeinsame Entgeltbewertung von Arbeitgeber und Beschäftigtenvertretung durchgeführt und Abhilfe geschaffen werden. Hierbei geht es um die Analyse von Entgeltunterschieden zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten („Gruppen von Arbeitnehmern“). Können die festgestellten Entgeltunterschiede nicht mit Hilfe objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien begründet werden, sind Maßnahmen zu ergreifen.

Darüber hinaus enthält die Richtlinie verschärfte Vorgaben hinsichtlich Entschädigungen und Sanktionen. Wie hoch diese sein werden, müsste in einem geänderten EntTranspG festgelegt werden.  

Insgesamt stärkt die Richtlinie die Möglichkeiten der Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes, allerdings sind Verbands- und Sammelklagen nur vorgesehen, falls diese bereits im nationalen Recht vorgesehen sind – also noch nicht in Deutschland.

Die Bedeutung der EU-Richtlinie für die Arbeit in den Betrieben

Die Ausweitung des Auskunftsrechts ist ein entscheidender Schritt für die betriebliche Praxis. Denn sie wird dazu beitragen, das Thema Entgelttransparenz regelmäßig auf die Tagesordnung zu setzen, auch deshalb, weil die Arbeitgeberseite verpflichtet wird, jährlich darüber informieren. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Beschäftigte diesen Auskunftsanspruch nutzen.

Der Wegfall der Hürde von sechs Vergleichspersonen für den Auskunftsanspruch ist ein weiterer wichtiger Schritt für die konkrete betriebliche Umsetzbarkeit. Eine Bewertung der Gleichwertigkeit mit Hilfe objektiver Kriterien und Anforderungen der konkreten Tätigkeit wird durch diese Bestimmungen wesentlich erleichtert und könnte häufiger durchgeführt werden.

Auch der künftig erforderliche Wegfall der Grenze des Auskunftsanspruchs auf Betriebe mit 200 Beschäftigten wird eine erhebliche Ausweitung bedeuten und insbesondere Frauen zugutekommen, die häufig in kleinen Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten arbeiten und damit aktuell nicht von dem Auskunftsanspruch profitieren konnten. Im Gastgewerbe galt dies besonders deutlich, denn hier arbeiten zwei Drittel der über eine Million Beschäftigten in Klein- und Kleinstunternehmen, lediglich knapp 14 Prozent in Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter*innen.

Erheblicher Veränderungsdruck auf der betrieblichen Ebene dürfte sich dadurch ergeben, dass Beschäftigte nach Artikel 7 der EU-Richtlinie bei unzutreffenden oder unvollständigen Informationen das Recht haben, „zusätzliche und angemessene Klarstellungen und Einzelheiten“ von der*m Arbeitgeber*in zu verlangen. Hier ist davon auszugehen, dass sich erst in gerichtlichen Verfahren klären lassen wird, was genau „angemessene und zutreffende Auskünfte“ sind. Den Gewerkschaften wird hier die wichtige Aufgabe zukommen, ihre Mitglieder aktiv zu unterstützen, Verfahren anzustrengen, um eine Schärfung der Begriffe "angemessen" und "zutreffend" herbeizuführen.  

Die stufenweise Ausweitung der Berichtspflicht auch auf kleine Betriebe wird dabei helfen, Entgeltgleichheit in die betriebliche Öffentlichkeit zu bringen. Allerdings gibt die Richtlinie hinsichtlich der Art der Berichte nur eine Reihe von statistischen Kennzahlen vor. Das kann dazu führen, dass eine rein quantitative Berichterstattung anhand der Datenlage gewählt wird, anstatt qualitative Berichte zur Entgeltgleichheit zu erstellen. Dies birgt das Risiko, wesentliche Diskriminierungstatbestände nicht zu erkennen, da keine umfassende und vergleichende Bewertung unterschiedlicher, aber möglicherweise gleichwertiger Tätigkeiten stattfindet. Erst die konkrete Überprüfung der Arbeitsbewertung würde erkennen lassen, ob Eingruppierungen diskriminierungsfrei sind

Die Auswahl von Dienstleister*innen für die Analyse der Entgeltgleichheit und die Interpretation der Ergebnisse muss von der betrieblichen Interessenvertretung kritisch und kompetent begleitet werden. Denn es gilt zu verhindern, dass Arbeitgeber Berichte mit dem Ziel erstellen lassen, eine möglichst geringe Entgeltdifferenz zu präsentieren. Dies bedeutet für viele Betriebsräte eine neue Kompetenzanforderung und damit gleichzeitig eine breite Qualifizierungsaufgabe für Gewerkschaften und andere Bildungsanbietende.

Wo eine gemeinsame Entgeltbewertung stattfindet, wird sie in der überwiegenden Zahl der Betriebe erstmalig durchgeführt werden. Umso wichtiger ist es, Betriebsräte bereits frühzeitig auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten.

Herausforderungen und Chancen für die Tarifpolitik

Im Zuge der Anpassung der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Entgelttransparenz ist es ebenso wichtig, auch einen Fokus auf die tarifliche Ebene zu legen. Viel zu oft wird noch immer davon ausgegangen, dass Tarifverträge automatisch für Entgeltgleichheit sorgen würden. Dabei wird vergessen, dass auch Tarifverträge diskriminierende Regelungen enthalten können. Es muss daher die Aufgabe beider Tarifparteien sein, die eigenen Tarifverträge zu überprüfen und ggf. zu überarbeiten.

Die Richtlinie bestätigt und unterstreicht das „Konzept der gleichen Quelle“, also den Anspruch auf Entgeltgleichheit im gesamten Geltungsbereich eines von denselben Parteien geschlossenen Tarifvertrages. Identifiziert ein Gericht eine diskriminierende Bestimmung in einem Tarifvertrag, wird diese (spätestens dann) im gesamten Geltungsbereich ungültig. Im Falle eines Konzerntarifvertrags würde dies alle Konzernunternehmen und Standorte betreffen, bei einem Flächentarifvertrag alle diesem unterliegenden Unternehmen eines Bundeslandes, oder sogar bundesweit.

Es liegt jedoch nicht im Interesse der Tarifvertragsparteien, die Gesetzeskonformität der tariflichen Regelungen durch ein Gericht klären zu lassen. Viel sinnvoller ist es, wenn die Tarifparteien selbst ihre eigenen Regelwerke überprüfen und dann ggf. als diskriminierend identifizierte Bestandteile der Tarifverträge einvernehmlich ändern. Dazu bedarf es allerdings der Bereitschaft beider Tarifvertragsparteien.

Fazit

Auf der Grundlage des Europäischen Entgeltgleichheitsrechts wird sich das EntgTranspG wesentlich ändern müssen. Drei Jahre Zeit bleiben Bundesregierung und Parlament, das deutsche Gesetz anzupassen und die Inhalte der Richtlinie umzusetzen. Auch auf Betriebe, Betriebsräte und Tarifparteien kommen neue Verantwortung und Handlungsfelder zu, auf die sie sich zeitig vorbereiten sollten, um den Aufgaben gewachsen zu sein und die Chancen zu ergreifen, die (nicht zum ersten Mal) als Vorlage aus Brüssel kommen. 
 

Zum Weiterlesen

Jochmann-Döll, Andrea/Rabe, Elisa/Specht, Johannes: Neuer Wind aus Brüssel für die Entgeltgleichheit. Die EU-Richtlinie 2023/970, der Anpassungsbedarf des deutschen Entgelttransparenzgesetzes und die (neuen) Möglichkeiten für die Tarifpolitik. WSI Analysen zur Tarifpolitik Nr. 97, September 2023 (pdf)

 

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Autor*innen

Dr. Andrea Jochmann-Döll ist selbständige Wissenschaftlerin und Beraterin im Forschungs- und Beratungsbüro GEFA (Gender.Entgelt.Führung.Arbeit) mit den Schwerpunkten Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben und Entgeltgleichheit der Geschlechter.

Elisa Rabe leitet das Referat Frauen- und Gleichstellungspolitik beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Dr. Johannes Specht leitet die Tarifabteilung beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

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