Quelle: Westend61/Zama Studio, blickwinkel/S. Ziese
Niklas Klemm/Jacob Hochhaus/Luca Elena Gromball, 14.05.2024: Gewerkschaften und Wasserstoff: Für eine global faire Just Transition
Wie kann eine klimaneutrale Neugestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen gelingen, die sozialverträglich und global gerecht ist? Der Beitrag beleuchtet die Herausforderungen am Beispiel des Energiesektors.
Die Transformation im Sinne einer sozialverträglichen klimaneutralen Anpassung der Arbeits- und Lebenswelt, auch „Just Transition“ genannt, ist seit Jahren ein zentrales gesellschafts- und gewerkschaftspolitisches Thema. Als besonders relevant werden länderübergreifende Gestaltungsansätze angesehen, die es schaffen, unterschiedliche Akteure zu adressieren und weitreichende Strategien zu etablieren. Die Klimakrise macht nicht an Grenzen halt. Deshalb ist die Bedeutung internationaler – und auch globaler gewerkschaftlicher – Bündnisse in einer globalisierten und vernetzten Welt mit starken Machtasymmetrien wichtiger denn je. In dem folgenden Beitrag widmen wir uns am Beispiel des Wasserstoffs der Frage, was für eine Just Transition auf globaler Ebene getan werden muss und welche Rolle Gewerkschaften dabei einnehmen können.
Wasserstoff – ein Beispiel globaler Gerechtigkeit des Wandels
Zuallererst: Nein, Wasserstoff ist leider keine Wunderwaffe gegen die Klimakrise, wie so oft versprochen wird. Nichtsdestotrotz gibt es einige sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten. Speziell dort, wo eine Elektrifizierung nicht möglich ist, wie im Stahlsektor, der Chemieindustrie sowie dem Schiffs- oder Flugverkehr spielt er notgedrungen eine wichtige Rolle. Um seine Klimafreundlichkeit sicherzustellen ist elementar, dass Wasserstoff „grün“ ist, also mit Hilfe erneuerbarer Energien hergestellt wird. Jedoch stellt sich auch bei grünem Wasserstoff die Frage, ob und wie er einen Beitrag zu einer wirklich gerechten Dekarbonisierung leisten wird, denn es besteht durchaus die reale Gefahr, dass seine Verwendung bestehende globale Ungerechtigkeiten und Machtasymmetrien weiter verschärft und dem Wandel somit lediglich einen grünen Anstrich verpasst – das Ziel einer gerechten Transformation jedoch verfehlt.
Die Wasserstoffstrategie in Deutschland
Für die Energiewende ist grüner Wasserstoff in Deutschland ein elementarer Baustein. Deutlich wird das am Beispiel der Stahlindustrie. Um eine Restchance für die Erreichung der Pariser Klimaziele zu erhalten, müsste schon ab 2024 die Kohleverbrennung jährlich um 25 Prozent der Leistung reduziert werden und ein kompletter Kohleausstieg spätestens 2030 gelingen. Gleichzeitig basiert die Herstellung von Stahl vor allem in der Primärstahlroute auf Kohle. Um die Stahlproduktion und andere energieintensive Prozesse langfristig emissionsfrei durchführen zu können, braucht es grünen Wasserstoff, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Deutschland kann dabei seinen Energiebedarf weder kurz- noch langfristig selbst decken, sondern wird Schätzungen zufolge im Jahr 2030 etwa zwei Drittel seines grünen Wasserstoffs importieren müssen. Als potenzielle Importländer gelten vor allem Länder des globalen Südens. Eine nationale Importstrategie gibt es bis jetzt allerdings nicht.
Wasserstoff bietet nationale und globale Chancen
Angesichts der gegebenen Struktur der nationalen Industrie wird grüner Wasserstoff als zentraler Rohstoff für die klimafreundliche Umstellung und somit den Erhalt der deutschen Industrie gesehen. So bietet beispielsweise die komplexe Prozesstechnik bei der Produktion von Wasserstoff ein exzellentes Geschäftsfeld für das auf Spezialisierung fokussierte deutsche Exportmodell. Deutsche Unternehmen gehören hier zur Weltspitze. Dies bietet Potential für Ausbildungsstellen und die Sicherung tarifgebundener Arbeitsplätze. Notwendig sind dafür kontinuierliche Fort- und Weiterbildungen für Beschäftigte.
Damit Wasserstoff als künftiger Energieträger zu einer global gerechten Just Transition beitragen kann, ist es wichtig, dass Produktion und Import mit sozialen und ökologischen Standards vereinbar sind. Von großer Bedeutung ist dabei, dass sich die Rolle des globalen Südens als verlängerte Werkbank ändert und auch vor Ort industrielle Kapazitäten und Wertschöpfung entstehen. Der Export von grünem Wasserstoff kann für Länder des globalen Südens eine Chance bieten, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben und die Überschusskapazitäten der Energiegewinnung in Form von Wasserstoff zu exportieren (vgl. Böll-Stiftung 2022).
Deutschlands Wasserstoffhunger und seine globalen Auswirkungen
Die Einführung einer Wasserstoffindustrie führt allerdings nicht automatisch zu einer Just Transition. Die Länder des globalen Südens wurden in der Vergangenheit nicht nur kolonial ausgebeutet und unterdrückt, sondern fungieren auch in unserem aktuellen Wirtschaftssystem, als sogenannte „verlängerte Werkbank“, noch als billige Arbeits- und Rohstofflieferanten. Das führt zu massiven Wertabflüssen vom globalen Süden in den Norden, wo durch verarbeitende Industrie ein Großteil der Wertschöpfung stattfindet. In dieser Machtasymmetrie und Handlungslogik liegen auch die Risikoquellen, welche Wasserstoff zu einem möglichen Verhinderer eines global gerechten Wandels machen. So entstehen Risiken und Schäden primär im globalen Süden, während Gewinne hauptsächlich im globalen Norden, z.B. für die deutsche Industrie realisiert werden. Zur Bestimmung von Risiken entwickelte die südafrikanische Umweltorganisation Groundwork aus vergangenen Erfahrungen Betroffener ein Konzept, welches Risikoquellen in drei „A’s“, „Aneignung“, „Ausschluss“ und „Ausgrenzung“, einteilt.[1] Da die Herstellung von Wasserstoff sehr wasser-, strom- und kostenintensiv ist und zunächst Kraftwerke, Produktionsanlagen und Distributionsinfrastruktur entstehen müssen, besteht durch eine Aneignung von Territorien und Ressourcen das Risiko der Verletzung insbesondere von indigenen Rechten. Die Planung und Durchführung von Wasserstoffprojekten an Zivilgesellschaft und betroffenen Gemeinden vorbei führte bereits in der Vergangenheit zu massiven Ungerechtigkeiten, beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo oder in Namibia. Ihr Ausschluss von Mitsprache und Teilhabe bietet somit ebenfalls ein großes Risiko für die Just Transition. Durch die kalkulatorische Ausgrenzung sozio-ökologischer Kosten werden diese häufig nicht nach dem Verursacherprinzip verteilt. Somit kommt es zu einer einseitigen Verteilung von Profiten, welche in der Regel von lokalen Eliten und beteiligten Unternehmen verbucht werden, und Kosten, die von der lokalen Bevölkerung getragen werden, was regionale und globale Ungleichheiten verstärkt. Das verhindert den Aufbau einer nachhaltigen und funktionierenden Wirtschaft im globalen Süden. Für eine Just Transition im Energiesektor muss Deutschland deshalb entlang der zukünftigen Lieferkette Wasserstoff dafür sorgen, dass soziale und ökologische Standards etabliert und durchgesetzt werden. Dazu gehört auch, das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ zu akzeptieren. Es bedeutet, dass die Länder des globalen Südens nur die Energie exportieren, die sie zusätzlich aufbauen und nicht für die eigene Wirtschaft benötigen. Denn sollten bereits bestehende Kapazitäten für die Produktion und den Export von Wasserstoff eingesetzt werden, entsteht im Ergebnis eine neokoloniale Abhängigkeit, die eine eigene wirtschaftliche Entwicklung des globalen Südens verhindert.
Die deutsche Industrie wird sich durch die Abkehr von fossilen Energieträgern verändern. Dabei können wahrscheinlich nicht alle industriellen Kapazitäten erhalten bleiben. Ein Festhalten am bisherigen Prinzip, breite Teile der weiterverarbeitenden Industrie in reichen Industrienationen zu konzentrieren und die Förderung von Primärrohstoffen unter Ausbeutung von Mensch und Natur in den globalen Süden zu verlagern, ist mit einer globalen Just Transition unvereinbar. Den Weg einer Just Transition zu gehen bedeutet, sich dem notwendigen Wandel nicht entgegenzustellen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, den Weg in die Zukunft so sozialverträglich wie möglich zu gehen, ohne dass eine*r auf der Strecke bleibt – die Herausforderung der Zeit für Gewerkschaften in Industrienationen.
Welche Rolle können Gewerkschaften spielen?
Gewerkschaften sehen sich angesichts der Transformationsaufgaben in Deutschland vielseitigen Herausforderungen und Zielkonflikten ausgesetzt. Nichtsdestotrotz, oder gerade deshalb kommt es in letzter Zeit immer mehr zu breiteren Allianzen wie der Initiative „Wir fahren zusammen“ zwischen Ver.di und Fridays for Future, Kooperationen zwischen IG Metall und BUND oder gemeinsamen Stellungnahmen von IGBCE, WWF Germanwatch und DNR. Die für Gewerkschaften schon immer zentrale Gerechtigkeitsfrage steht ebenfalls im Zentrum des notwendigen Strukturwandels von Energie und Industrie. So müssen beispielsweise Industriegewerkschaften mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen aus dem Bereich der fossilen Energien in den Sektor der erneuerbaren Energien rechnen. Um die Frage nach Gerechtigkeit umfassend zu beantworten, muss sie aber auch global gestellt werden, denn die Klimakrise macht nicht an Grenzen halt. Gerade im globalen Kontext ist die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Umweltbewegung besonders wichtig, um die weltumspannenden Zusammenhänge der Klimakrise aufzuzeigen und Lösungsperspektiven einer global nachhaltigen Wirtschaft voranzutreiben.
Zu einer globalen Just Transition gehört auch, dass Jobs, die im Ausland in Verbindung mit grünem Wasserstoff entstehen, wirklich gute Jobs sind. Elementar dafür ist – neben internationaler politischer Kooperation – vor allem die Stärkung der Gewerkschaften vor Ort, damit die Durchsetzung von guten Arbeitsbedingungen gelingt. Dies könnte durch eine stärkere länderübergreifende Vernetzung und eine stärkere gewerkschaftliche Teilhabe an internationaler Zusammenarbeit erreicht werden. Im Rahmen praktizierter internationaler Solidarität sollten auch internationale Gewerkschaften und eine zunehmende Vernetzung der nationalen Gewerkschaften im Fokus stehen.
Für eine sozial ausgeglichene Transformation ist es essenziell, dass soziale und ökologische Risiken im Vorhinein transparent und unter Einbezug Betroffener evaluiert werden und dass die Entschädigung der Betroffenen gesichert ist. Für die gewerkschaftliche Arbeit innerhalb Deutschlands bedeutet dies die Identifikation und Sicherung zukunftsträchtiger Jobs und den Einsatz für umfassende Aus- und Weiterbildung sowie Entschädigungsmechanismen in diesen Bereichen. Das gilt vor allem für den Energiesektor, wo Zielkonflikte besonders groß sind. Der drohende Arbeitsplatzverlust und die fehlende Handlungsperspektive können bei Arbeitnehmenden zu Unsicherheiten und Ablehnung führen. Gleichzeitig ist der Transformationsdruck in diesen Bereichen groß.
Zur Auflösung dieser Zielkonflikte brauchen Gewerkschaften die Akzeptanz und Rückendeckung ihrer Mitglieder. Die Vermittlung der globalen Zusammenhänge und Auswirkungen des individuellen und kollektiven Handelns im globalen Norden auf den Süden sind dabei wichtig, um die Akzeptanz für eine globale Just Transition zu fördern. Gewerkschaftsmitglieder können so befähigt werden, sich in ihrem Betrieb für eine faire globale Transformation einzusetzen, um nicht nur eigene zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sichern, sondern insbesondere auch die globalen Auswirkungen der Konsum- und Produktionsmuster in den Blick zu nehmen. So können sie notwendigen Druck aufbauen, um Unternehmen an ihre Verantwortung zu erinnern und für faire Prozesse sorgen, beispielsweise durch Ausgestaltung und Verschärfung des deutschen und europäischen Lieferkettengesetzes. Die Ausbildung von Transformationpromotor*innen, die Beschäftigten diese Handlungsperspektiven aufzeigen und Orientierung in beruflichen Unsicherheiten bieten können, sind dabei ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Fazit
Für eine global gedachte sozial-ökologische Transformation der Gewerkschaften braucht es in erster Linie eins: die internationale Solidarität. Am Beispiel Wasserstoff wird deutlich, wie komplex die Gestaltung eines globalen Wandels ist, der fair und nachhaltig ist. Daran zeigen sich jedoch auch Möglichkeiten für die Sicherung und den Ausbau guter Arbeitsplätze in Deutschland und weltweit. Es müssen nachhaltige industrielle Tätigkeitsfelder identifiziert werden, um sich dort für den Erhalt und Ausbau von sozial und ökologisch nachhaltigen Arbeitsplätzen einzusetzen. Die Auseinandersetzung mit globalen Auswirkungen der Konsum- und Produktionsweisen des globalen Nordens auf den Süden sowie die Zusammenarbeit mit Umweltorganisationen ist dabei essenziell. Sie stärkt den notwendigen Rückhalt für die sozial-ökologische Transformation und zeigt mögliche Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaftsweise auf. Im Hinblick auf Unternehmensaktivitäten und Energieimporte aus dem Ausland gilt es, die Einführung sozialer und ökologischer Standards über internationale gewerkschaftliche Arbeit zu unterstützen. Gewerkschaften können über Arbeitnehmende und Betriebsräte als Stimme der Gerechtigkeit fungieren und so einen aktiven Beitrag für einen möglichst gerechten Wandel auf globaler Ebene leisten.
[1] Diese sind aus dem Englischen (enclosure, exclusion, externatlisation) frei übersetzt.
Weitere Informationen
Dem Thema einer global fairen Just Transition widmete sich auch das Next Economy Lab e.V. (NELA) gemeinsam mit ver.di GPB im Projekt „Die globale sozioökologische Transformation – eine Veranstaltungsreihe zur Rolle der Gewerkschaften“. Das Projekt nimmt das Engagement von Arbeitnehmenden für eine nachhaltige Entwicklung in Süd und Nord in den Blick. Anhand konkreter Beispiele aus aller Welt wird diskutiert, wie wir in unserem Arbeitsumfeld und als Konsument*innen aktiv werden können. So wird der scheinbare Zielkonflikt zwischen Arbeiter*inneninteressen des globalen Nordens und Südens und ökologischen Notwendigkeiten thematisiert und es werden Lösungsansätze und Handlungsspielräume aufgezeigt. Im Rahmen des Projekts fanden fünf Podiumsdiskussionen online statt, die demnächst auf dem NELA YouTube Kanal veröffentlicht werden.
Vom 31.05. bis 01.06.2024 findet die Abschlusskonferenz des Projekts mit dem Titel „Gemeinsam mehr bewegen – Gute Arbeit für eine global nachhaltige Entwicklung“ im ver.di Bildungszentrum Bielefeld statt. Ausschnitte der Konferenz werden auf den Kanälen von ver.di GPB und NELA live übertragen.
Gefördert wird das Projekt von Engagement Global und der POSTCODE Lotterie. Die Abschlusskonferenz wird von NELA e.V. und ver.di GPB, in Kooperation mit der IG-Metall und ver.di, veranstaltet.
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Autor*innen
Niklas Klemm studiert an der Universität Duisburg Essen im Master Sozioökonomie mit Fokus auf die globalen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse der sozial-ökologischen Transformation.
Jacob Hochhaus ist wissenschaftliche Hilfskraft beim Next Economy Lab in den Projekten „Die globale sozial-ökologische Transformation – eine Veranstaltungsreihe zur Rolle der Gewerkschaften“ und „Wie passen Arbeit & Ökologie zusammen?“.
Luca Elena Gromball ist Umweltwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit kommunaler Nachhaltigkeit in der Praxis.