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WSI GenderDatenPortal: Mitbestimmung: Frauen in Aufsichtsräten nach Anteilseigner- bzw. Arbeitnehmer*innen-Seite 2009-2022

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Der Frauenanteil in deutschen Aufsichtsräten fällt im Jahr 2022 mit 34 Prozent mehr als dreimal so hoch aus wie noch 12 Jahre zuvor (2008: 9 Prozent). (1)

Die Betrachtung „nach Köpfen“ macht deutlich: 2022 wird die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder von Anteilseigner*innen ins jeweilige Gremium entsendet (Grafik 1): Dies trifft auf zwei Drittel der männlichen Aufsichtsratsmitglieder zu (724 von insgesamt 1.143), aber auch auf eine Mehrheit von 60 Prozent bei den Frauen (353 von 593).

Innerhalb des Beobachtungszeitraums zeigt sich, dass die absolute Mehrheit der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder vor 2015 stets auf der (insgesamt kleineren) Arbeitnehmer*innen-Seite zu finden war, allerdings mit abnehmendem Vorsprung. Seit 2015 wird die absolute Mehrheit der weiblichen Mitglieder in Aufsichtsräten nun über die (insgesamt doppelt so große) Seite der Anteilseigner*innen entsendet.

Zur Erläuterung: Anteilseigner*innen (d. h. Aktionär*innen) sowie Arbeitnehmer*innen entsenden in unterschiedlichem Ausmaß Frauen und Männer auf die von ihnen jeweils zu besetzenden Plätze in den Aufsichtsratsgremien. 2022 werden nur 659 aller insgesamt 1.736 Aufsichtsratspositionen in den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen durch Arbeitnehmer*innen besetzt (38 Prozent), 1.077 Sitze hingegen durch Anteilseigner*innen (62 Prozent) (vgl. Tab. 1).

Der Vergleich der prozentualen Frauenanteile unter den Vertreter*innen von Anteilseigner*innen und Arbeitnehmer*innen (Grafik 2) zeigt, dass damit jedoch auf Seite der Arbeitnehmer*innen anteilig mehr Aufsichtsratssitze mit einer Frau besetzt werden (36 Prozent) als auf Seiten der Anteilseigner*innen (33 Prozent). Für die Gleichstellung von Frauen in Aufsichtsräten bedeutet dies: Frauen haben auf der Arbeitnehmer*innen-Seite weiterhin bessere Chancen in ein Aufsichtsratsgremium zu gelangen.

Über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg liegen die prozentualen Frauenanteile auf der Arbeitnehmer*innen-Bank stets deutlich über denen der Anteilseigner*innen-Bank (Grafik 2):

  • Der Frauenanteil auf der Arbeitnehmer*innen-Seite des Gremiums hat sich zwischen 2009 und 2021 insgesamt verdoppelt, von 19 Prozent auf 38 Prozent. Er nahm dabei zwischen 2009 und 2021 von Jahr zu Jahr zu, erst zuletzt abgelöst durch einen geringfügigen Rückgang des Frauenanteils um knapp 2 Prozentpunkte im Jahr 2022.
  • Ausgehend von einem sehr niedrigeren Niveau verlief der Anstieg des Frauenanteils auf der Anteilseigner*innen-Seite – vor allem zwischen 2009 und 2014 – steiler. Bis 2021 hat sich der Frauenanteil hier fast verachtfacht (von 4 Prozent auf 31 Prozent). Zwischen 2015 und 2021 betrug der Rückstand der Anteilseigener*innen-Seite gegenüber der Arbeitnehmer*innen-Seite stets 7 bis 8 Prozentpunkte. Im Jahr 2022 verringerte sich der Rückstand der Anteilseigner*innen-Seite erstmals auf nur noch drei Prozentpunkte Abstand.

Hintergrund: Für alle börsennotierten und paritätisch-mitbestimmten Unternehmen gilt seit 2016 eine gesetzliche Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent im Aufsichtsratsgremium (vgl. Glossar), was sich seit 2015/2016 förderlich auf den Frauenanteil in Aufsichtsräten paritätisch-mitbestimmter Unternehmen auswirkt. Dies trifft vor allem auf im DAX30- bzw. inzwischen DAX40 gelistete Unternehmen zu, da 30 der 40 dort gelisteten Unternehmen paritätisch-mitbestimmt sind (Jahresende 2022). Für die im MDAX und SDAX gelisteten Unternehmen ist dieser Effekt deutlich geringer, da sie seltener paritätisch-mitbestimmt sind (Jahresende 2022: rund die Hälfte der MDAX-Unternehmen sowie ein gutes Drittel der SDAX-Unternehmen). (2) Zudem trat im August 2021 für paritätisch-mitbestimmte Unternehmen zusätzlich eine gesetzliche Regelung zur geschlechtlichen Mindestbesetzung in Vorständen in Kraft (FüPoG II). (3) Sie verlangt von allen paritätisch-mitbestimmten Börsenunternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern – für alle Besetzungen im Vorstand ab dem 01. August 2022 – mindestens ein weibliches (bzw. mindestens ein männliches) Vorstandsmitglied (vgl. Glossar). Beide verbindlich vorgeschriebenen Geschlechterquoten, sowohl für Aufsichtsratsgremien als auch für Vorstandsgremien, gelten Ende 2022 aber nur für die 80 paritätisch-mitbestimmten unter den 160 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland.

Für die anderen 80 nicht paritätisch-mitbestimmten Unternehmen (Ende 2022: 64 nicht-mitbestimmte Unternehmen sowie 16 Unternehmen mit Drittel-Beteiligung) gelten diese gesetzlichen Geschlechterquoten so nicht. Auch sie sind aber, wie alle börsennotierten Unternehmen, verpflichtet, sich selbst verbindliche Zielgrößen für die nächsten Jahre zu setzen und diese zu veröffentlichen, zu Gunsten einer Erhöhung ihrer Frauenanteile in Aufsichtsrat, Vorstand sowie den zwei höchsten betrieblichen Führungsebenen unterhalb des Vorstands.

Dabei wäre eine größere Geschlechterdiversität in Aufsichtsräten erstrebenswert, denn sie kann u.a. dazu beitragen, die Qualität von Interaktion, Diskussionskultur und Entscheidungsfindung im Gremium zu verbessern. (4) Finden sich Frauen sowohl auf der Anteilseigner*innen-Bank als auch der Arbeitnehmer*innen-Bank im Aufsichtsrat, so leistet dies einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der mitunter eingefleischten Blockbildung im Gremium, belegen Erfahrungsberichte von dazu befragten Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen einer empirischen Studie: „Die Arbeitnehmerbank in diesem Aufsichtsrat ist vom Vorstand lange eher als Hindernis und Blockierer angesehen worden, man hat uns eigentlich nicht geliebt […] Auffällig ist, dass die zwei neuen Anteilseignerfrauen im Aufsichtsrat einen angenehmeren Umgang, sagen wir besseren Respekt für die Arbeitnehmervertreter haben als ihre männlichen Vorgänger […] Uns hat das genützt, weil sie offener und mehr auf Augenhöhe mit uns kommunizieren.“ (5)

Das Einhalten von Geschlechterquoten im Aufsichtsratsgremium, aber auch das Erreichen selbst gesetzter Zielgrößen im Unternehmen, muss dabei stets Aufgabe des gesamten Gremiums sein. Der Auftrag, mehr Aufsichtsratspositionen mit Frauen zu besetzen, richtet sich grundsätzlich an beide Seiten: die Bank der Arbeitnehmer*innen (ANV) als auch die der Anteilseigner*innen (AEV).

Weitere Informationen (Definitionen wichtiger Begriffe und methodische Anmerkungen zur Datengrundlage) sind in den Pdf-Dateien enthalten, die zum Download bereitstehen.


Bearbeitung: Svenja Pfahl, Maike Wittmann

Literatur

Allbright Stiftung gGmbH (2022): Kampf um die besten Köpfe. Die Konkurrenz um Vorständinnen nimmt zu, Bericht September 2022, Berlin, letzter Zugriff 25.09.2023.

Allbright Stiftung gGmbH (2021): Aufbruch oder Alibi? Viele Börsenvorstände erstmals mit einer Frau, Bericht September 2021, Berlin, letzter Zugriff 25.09.2023.

BMAS (2021): Mitbestimmung – Eine gute Sache. Alles über die Mitbestimmung und ihre rechtlichen Grundlagen, Bonn, letzter Zugriff 25.09.2023.

DGB Bundesvorstand (2015): Offensive Mitbestimmung. Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, Reihe: diskurs, Berlin, letzter Zugriff 25.09.2023.

Frankfurter Börse (o. J.): Börsenlexikon, www.boerse-frankfurt.de/wissen/dictionary, letzter Zugriff 25.09.2023.

Hans-Böckler-Stiftung (2023): Mitbestimmungsportal, Ressourcen & Tools für den Aufsichtsrat, letzter Zugriff 25.09.2023.

Hans-Böckler-Stiftung (2023): Mitbestimmungsportal, Wissen kompakt. Häufige Fragen: Geschlechterquote, https://www.mitbestimmung.de/html/geschlechterquote-1189.html, letzter Zugriff 25.09.2023.

Hans-Böckler-Stiftung (2018): Mehr Quote wagen. In: Böckler Impuls, 04/2018, S.1, letzter Zugriff: 25.09.2023..

Kirsch, Anja/Sondergeld, Virginia/Wrohlich, Katharina (2023): Erneut mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen – durch Beteiligungsgebot angestoßene Dynamik lässt aber nach. In: Managerinnen-Barometer, DIW Wochenbericht Nr. 03/2023, S.22-33, letzter Zugriff 25.09.2023

Kirsch, Anja/Wrohlich, Katharina (2021): Aufsichtsratsarbeit vieler Unternehmen profitiert von mehr Geschlechterdiversität. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S.36-42, letzter Zugriff 25.09.2023.

Pfahl, Svenja/Wittmann, Maike (2023): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2022. In: WSI GenderDatenPortal.

Pfahl, Svenja/Wittmann, Maike (2023): Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2022. In: WSI GenderDatenPortal.

Weckes, Marion (2019): Strahlungsarmes „Quötchen“. Die Geschlechterverteilung in Aufsichtsrat und Vorstand 2019, Report Nr. 48, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 25.09.2023.

Weckes, Marion (2015): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten, Report Nr. 10, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 25.09.2023.

Weckes, Marion (2011): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten in den 160 börsennotierten Unternehmen (Dax-30, M-Dax, S-Dax, Tec Dax) zum 31. Januar 2011, Arbeitspapier, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf.

Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S.43, letzter Zugriff 25.09.2023.


(1) Vgl. Pfahl, Svenja/Wittmann, Maike (2023): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2022. In: WSI GenderDatenPortal. 

(2) Vgl. Pfahl, Svenja/Wittmann, Maike (2023): Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2022. In: WSI GenderDatenPortal.

(3) Vgl. Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, Seite 43.

(4) Kirsch, Anja/Wrohlich, Katharina (2021): Aufsichtsratsarbeit vieler Unternehmen profitiert von mehr Geschlechterdiversität. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, Seite 41.

(5) Vgl. Kirsch, Anja/Wrohlich, Katharina (2021): Aufsichtsratsarbeit vieler Unternehmen profitiert von mehr Geschlechterdiversität. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, Seite 40.

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