WSI GenderDatenPortal: Mitbestimmung: Frauen in Aufsichtsräten nach Anteilseigner- bzw. Arbeitnehmer*innen-Seite 2009-2023
Grafiken, Analyse, Tabellen (pdf)
Der Frauenanteil in deutschen Aufsichtsräten fällt im Jahr 2023 mit 36 Prozent viermal so hoch aus wie noch 15 Jahre zuvor (2008: 9 Prozent). Allerdings verlangsamte sich der weitere Anstieg weiblicher Aufsichtsratsmitglieder in den letzten Jahren wieder erkennbar. (1)
Die Betrachtung „nach Köpfen“ macht deutlich: 2023 wird die Mehrheit aller Aufsichtsratsmitglieder von den Anteilseigner*innen ins jeweilige Gremium entsendet (vgl. Grafik 1): Dies trifft auf zwei Drittel der männlichen Aufsichtsratsmitglieder zu (709 von insgesamt 1.122 Männern), aber auch auf eine Mehrheit von 60 Prozent bei den Frauen (373 von insgesamt 628 Frauen).
Innerhalb des Beobachtungszeitraums zeigt sich, dass die absolute Mehrheit der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder vor 2015 stets auf der (insgesamt kleineren) Arbeitnehmer*innen-Seite zu finden war, allerdings mit abnehmendem Vorsprung. Seit 2015 wird die absolute Mehrheit der weiblichen Mitglieder in Aufsichtsräten nun über die (fast doppelt so große) Seite der Anteilseigner*innen entsendet.
Zur Erläuterung: Anteilseigner*innen (d. h. Aktionär*innen) sowie Arbeitnehmer*innen entsenden in unterschiedlichem Ausmaß Frauen und Männer auf die von ihnen jeweils zu besetzenden Plätze in den Aufsichtsratsgremien. 2023 werden nur 668 aller insgesamt 1.750 Aufsichtsratspositionen in den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen durch Arbeitnehmer*innen besetzt (38 Prozent), 1.082 Sitze hingegen durch Anteilseigner*innen (62 Prozent) (vgl. Tab. 02.1).
Der Vergleich der prozentualen Frauenanteile unter den Vertreter*innen von Anteilseigner*innen und Arbeitnehmer*innen (vgl. Grafik 2) zeigt, dass dennoch auf Seite der Arbeitnehmer*innen anteilig mehr Aufsichtsratssitze mit einer Frau besetzt werden (38 Prozent) als auf Seiten der Anteilseigner*innen (35 Prozent). Für die Gleichstellung von Frauen in Aufsichtsräten bedeutet dies: Frauen haben auf der Arbeitnehmer*innen-Seite weiterhin bessere Chancen in ein Aufsichtsratsgremium zu gelangen.
Über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg liegen die prozentualen Frauenanteile auf der Arbeitnehmer*innen-Bank stets deutlich über denen der Anteilseigner*innen-Bank (vgl. Grafik 2):
- Der Frauenanteil auf der Arbeitnehmer*innen-Seite des Gremiums hat sich zwischen 2008 und 2023 insgesamt mehr als verdoppelt, von 18 Prozent auf 38 Prozent. Bis 2021 nahm der Frauenanteil dabei von Jahr zu Jahr zu – und stagniert erst in den letzten Jahren bei rund 37 Prozent.
- Ausgehend von einem sehr niedrigeren Niveau verlief der Anstieg des Frauenanteils auf der Anteilseigner*innen-Seite – vor allem zwischen 2008 und 2014 – steiler. Bis 2023 hat sich der Frauenanteil hier fast verneunfacht (von 4 Prozent auf 35 Prozent). Zwischen 2015 und 2021 betrug der Rückstand der Anteilseigener*innen-Seite gegenüber der Arbeitnehmer*innen-Seite stets 7 bis 8 Prozentpunkte. Im Jahr 2022 verringerte sich der Rückstand der Anteilseigner*innen-Seite erstmals auf nur noch drei Prozentpunkte Abstand.
Hintergrund: Für alle börsennotierten und paritätisch-mitbestimmten Unternehmen gilt seit 2016 eine gesetzliche Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent im Aufsichtsratsgremium (vgl. Glossar), was sich seit 2015/2016 förderlich auf den Frauenanteil in Aufsichtsräten paritätisch-mitbestimmter Unternehmen auswirkt. Dies trifft vor allem auf im DAX30- bzw. inzwischen DAX40 gelistete Unternehmen zu, da 32 der 40 dort gelisteten Unternehmen paritätisch-mitbestimmt sind (Jahresende 2023). Für die im MDAX und SDAX gelisteten Unternehmen ist dieser Effekt deutlich geringer, da sie seltener paritätisch-mitbestimmt sind (Jahresende 2023: rund die Hälfte der MDAX-Unternehmen sowie ein gutes Drittel der SDAX-Unternehmen). (2) Zudem trat im August 2021 für paritätisch-mitbestimmte Unternehmen zusätzlich eine gesetzliche Regelung zur geschlechtlichen Mindestbesetzung in Vorständen in Kraft (FüPoG II). (3) Sie verlangt von allen paritätisch-mitbestimmten Börsenunternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern – für alle Besetzungen im Vorstand ab dem 01. August 2022 – mindestens ein weibliches (bzw. mindestens ein männliches) Vorstandsmitglied (vgl. Glossar). Beide verbindlich vorgeschriebenen Geschlechterquoten, sowohl für Aufsichtsratsgremien als auch für Vorstandsgremien, gelten Ende 2023 aber nur für die 81 paritätisch-mitbestimmten unter den 160 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. (4)
Für die anderen 79 nicht paritätisch-mitbestimmten Unternehmen (Ende 2023: 63 nicht-mitbestimmte Unternehmen sowie 16 Unternehmen mit Drittel-Beteiligung) gelten diese gesetzlichen Geschlechterquoten so nicht. Auch sie sind aber, wie alle börsennotierten Unternehmen, verpflichtet, sich selbst verbindliche Zielgrößen für die nächsten Jahre zu setzen und diese zu veröffentlichen, zu Gunsten einer Erhöhung ihrer Frauenanteile in Aufsichtsrat, Vorstand sowie den zwei höchsten betrieblichen Führungsebenen unterhalb des Vorstands. Zudem schaffen es Frauen bisher auch nur äußerst selten an die Spitze des Aufsichtsrates: Unter den 160 Aufsichtsratsvorsitzenden gibt es bisher nur 10 Frauen (Stand: September 2024). (5)
Dabei wäre eine größere Geschlechterdiversität in Aufsichtsräten erstrebenswert, denn sie kann u.a. dazu beitragen, die Qualität von Interaktion, Diskussionskultur und Entscheidungsfindung im Gremium zu verbessern. (6) Finden sich Frauen sowohl auf der Anteilseigner*innen-Bank als auch der Arbeitnehmer*innen-Bank im Aufsichtsrat, so leistet dies einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der mitunter eingefleischten Blockbildung im Gremium, belegen Erfahrungsberichte von dazu befragten Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen einer empirischen Studie: „Die Arbeitnehmerbank in diesem Aufsichtsrat ist vom Vorstand lange eher als Hindernis und Blockierer angesehen worden, man hat uns eigentlich nicht geliebt […] Auffällig ist, dass die zwei neuen Anteilseignerfrauen im Aufsichtsrat einen angenehmeren Umgang, sagen wir besseren Respekt für die Arbeitnehmervertreter haben als ihre männlichen Vorgänger […] Uns hat das genützt, weil sie offener und mehr auf Augenhöhe mit uns kommunizieren.“ (7)
Das Einhalten von Geschlechterquoten im Aufsichtsratsgremium, aber auch das Erreichen selbst gesetzter Zielgrößen im Unternehmen, muss dabei stets Aufgabe des gesamten Gremiums sein. Der Auftrag, mehr Aufsichtsratspositionen mit Frauen zu besetzen, richtet sich an beide Seiten: die Bank der Arbeitnehmer*innen (ANV) als auch die der Anteilseigner*innen (AEV).
Weitere Informationen (Definitionen wichtiger Begriffe und methodische Anmerkungen zur Datengrundlage) sind in den Pdf-Dateien enthalten, die zum Download bereitstehen.
Bearbeitung: Svenja Pfahl, Eugen Unrau
Literatur
Allbright Stiftung gGmbH (2024): MIND THE GAP. Deutschland bleibt beim Frauenanteil im Top-Management weit hinter Großbritannien, Bericht September 2024, Berlin, letzter Zugriff 26.03.2025.
Allbright Stiftung gGmbH (2023): Einsam an der Spitze. Unternehmen holen Frauen in die Vorstände, aber in der Regel nur eine, Bericht September 2023, Berlin, letzter Zugriff 17.02.2025.
BMAS (2024): Mitbestimmung – Eine gute Sache. Alles über die Mitbestimmung und ihre rechtlichen Grundlagen, Bonn, letzter Zugriff 17.02.2025.
DGB Bundesvorstand (o.J.): Deine Stimme zählt. Mitbestimmung im Betrieb, DGB-Webseite, Berlin, letzter Zugriff 17.02.2025.
Frankfurter Börse (o. J.): Börsenlexikon, www.boerse-frankfurt.de/wissen/dictionary, letzter Zugriff 17.02.2025.
Hans-Böckler-Stiftung (2023): Mitbestimmungsportal, Ressourcen & Tools für den Aufsichtsrat, letzter Zugriff 17.02.2025.
Hans-Böckler-Stiftung (2023): Mitbestimmungsportal, Wissen kompakt. Häufige Fragen: Geschlechterquote, letzter Zugriff 17.02.2025.
Hans-Böckler-Stiftung (2018): Mehr Quote wagen. In: Böckler Impuls, 04/2018, S.1, letzter Zugriff: 17.02.2025.
Kirsch, Anja/Sondergeld, Virginia/Wrohlich, Katharina (2023): Erneut mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen – durch Beteiligungsgebot angestoßene Dynamik lässt aber nach. In: Managerinnen-Barometer, DIW Wochenbericht Nr. 03/2023, S. 22-33, letzter Zugriff 17.02.2025.
Kirsch, Anja/Wrohlich, Katharina (2021): Aufsichtsratsarbeit vieler Unternehmen profitiert von mehr Geschlechterdiversität. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S. 36-42, letzter Zugriff 17.02.2025.
Pfahl, Svenja/Unrau, Eugen (2025): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2023. In: WSI GenderDatenPortal.
Pfahl, Svenja/Unrau, Eugen (2025): Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2023. In: WSI GenderDatenPortal.
Sondergeld, Virginia/Wrohlich, Katharina/Kirsch, Anja (2024): Frauenanteil in Vorständen großer Unternehmen gestiegen, meist bleibt es aber bei höchstens einer Frau. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2024, S. 26-36, letzter Zugriff 17.02.2025.
Weckes, Marion (2019): Strahlungsarmes „Quötchen“. Die Geschlechterverteilung in Aufsichtsrat und Vorstand 2019, Report Nr. 48, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 17.02.2025.
Weckes, Marion (2015): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten, Report Nr. 10, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf, letzter Zugriff 17.02.2025.
Weckes, Marion (2011): Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten in den 160 börsennotierten Unternehmen (Dax-30, M-Dax, S-Dax, Tec Dax) zum 31. Januar 2011, Arbeitspapier, Hans-Böckler-Stiftung, Abteilung Mitbestimmungsförderung, Düsseldorf.
Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S.43, letzter Zugriff 17.02.2025.
(1) Vgl. Pfahl, Svenja/Unrau, Eugen (2025): Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2023. In: WSI GenderDatenPortal. So auch: Kirsch, Anja/Sondergeld, Virginia/Wrohlich, Katharina (2023): Erneut mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen – durch Beteiligungsgebot angestoßene Dynamik lässt aber nach. In: Managerinnen-Barometer, DIW Wochenbericht Nr. 03/2023, S. 24.
(2) Vgl. Pfahl, Svenja/Unrau, Eugen (2025): Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex 2009-2023. In: WSI GenderDatenPortal.
(3) Vgl. Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S. 43. Sowie: Allbright Stiftung gGmbH (2023): Einsam an der Spitze. Unternehmen holen Frauen in die Vorstände, aber in der Regel nur eine, Bericht September 2023.
(4) Von den insgesamt 81 paritätisch-mitbestimmten Unternehmen unterliegen 80 Unternehmen dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 und ein weiteres Unternehmen unterliegt der Montanmitbestimmung. Vgl. zur Frage einer Erweiterung des Geltungsbereiches der gesetzlichen Geschlechterquote: Hans-Böckler-Stiftung (2018): Mehr Quote wagen. In: Böckler Impuls, 04/2018, S. 1.
(5) Vgl. Allbright Stiftung gGmbH (2024): MIND THE GAP. Deutschland bleibt beim Frauenanteil im Top-Management weit hinter Großbritannien, Bericht September 2024, Berlin, S. 6.
(6) Vgl. Wrohlich, Katharina (2021): „Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen ist wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“ (Interview). In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, Seite 43. Sowie Weckes, Marion (2019): Strahlungsarmes „Quötchen“. Die Geschlechterverteilung in Aufsichtsrat und Vorstand 2019, Report Nr. 48, Hans-Böckler-Stiftung.
(7) Kirsch, Anja/Wrohlich, Katharina (2021): Aufsichtsratsarbeit vieler Unternehmen profitiert von mehr Geschlechterdiversität. In: Managerinnen-Barometer, DIW-Wochenbericht Nr. 03/2021, S. 40.