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Reinhard Bispinck und Thorsten Schulten, 14.04.2020: Vorschläge zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes in der Corona-Krise

Aktuell gibt es verschiedene Vorschläge zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes. Der Beitrag zeigt, welche Beschäftigtengruppen in welchem Ausmaß von den Vorschlägen profitieren würden.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie einzudämmen, wurden in kürzester Zeit umfangreiche staatliche Förderprogramme aufgelegt, die vor allem darauf abzielen, die Liquidität der Unternehmen zu sichern und Firmenbankrotte zu verhindern. Zugleich wurden die Möglichkeiten zur Nutzung von Kurzarbeit noch einmal kurzfristig verbessert, um Entlassungen zu vermeiden und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hatten bis zum 6. April 2020 bereits rund 650.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Auch wenn die Zahl der betroffenen Beschäftigten noch nicht genau bestimmt werden kann, so ist jetzt schon absehbar, dass die Zahl der 1,4 Millionen Kurzarbeiter*innen auf dem Höhepunkt der Krise 2008/2009 deutlich übertroffen wird.

Das gesetzliche Kurzarbeitergeld nach geltendem Recht

Kurzarbeit hat zum Ziel, dass in vorübergehenden Krisenphasen Arbeitsplätze gesichert und die Kosten der Arbeit zwischen Unternehmen, Staat bzw. der Bundesagentur für Arbeit und Beschäftigten verteilt werden. Die Unternehmen müssen für die reduzierte Arbeitszeit zwar kein reguläres Entgelt zahlen, sie haben jedoch nach wie vor so genannte Remanenzkosten, die sich z.B. aus einer möglichen tarifvertraglichen Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, aus der fortlaufenden Zahlung zusätzlicher Entgeltbestandteile (wie z.B. Weihnachts- oder Urlaubsgeld) oder der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ergeben können. Mit der jüngsten Novellierung der Kurzarbeiterregelung werden allerdings die Sozialversicherungsbeiträge den Unternehmen nun zu 100 Prozent von der Bundesagentur für Arbeit erstattet. Letztere trägt auch den größten Kostenanteil, indem sie ein Kurzarbeitergeld von 60 Prozent des ausgefallenen Nettoeinkommens bzw. 67 Prozent bei Beschäftigten mit mindestens einem Kind übernimmt. Schließlich müssen auch die Beschäftigten einen erheblichen Teil der Kurzarbeit durch die Reduzierung ihres Nettoentgeltes  finanzieren. Im Vergleich zu vielen anderen westeuropäischen Ländern ist der Einkommensverlust durch Kurzarbeit dabei in Deutschland besonders ausgeprägt.

In der Corona-Krise führt der ökonomische Shutdown dazu, dass die Kurzarbeit in vielen Bereichen auf null Stunden herabgesenkt wird. Vor diesem Hintergrund führt ein um 40 Prozent (bzw. 33 Prozent mit Kindern) reduziertes Nettoentgelt bei vielen Beschäftigten zu erheblichen Einkommensbußen. Hart getroffen werden vor allem die Niedrigeinkommensbezieher. Für Alleinverdiener ohne Kinder mit der Steuerklasse 1 überschreitet das Kurzarbeitergeld erst ab einem Bruttomonatseinkommen ab 2.500 Euro einen Betrag von 1.000 Euro (Tabelle 1). Legt man als Orientierungsgröße den gesetzlichen Mindestlohn zugrunde, ergibt sich folgende Beispielrechnung: Der aktuelle gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro beläuft sich bei einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf einen monatlichen Bruttoverdienst von rund 1.620 Euro. Davon bleiben bei Steuerklasse 1 (ohne Kinder) netto rund 1.200 Euro. Selbst bei einem Bruttomonatsverdienst von 3.000 Euro wird dieser Betrag noch unterschritten. Das Bild bessert sich nur wenig, wenn man das Kurzarbeitergeld von 67 Prozent für Beschäftigte mit Kindern in der Steuerklasse 4 zugrunde legt. Bei einem Bruttomonatsverdienst von 2.500 Euro bleibt das Kurzarbeitergeld in Höhe von rund 1.132 Euro deutlich unter dem genannten Nettolohn von 1.200 Euro, der bei dem gesetzlichen Mindestlohn erreicht würde.

Vorschläge zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes

Für viele Beschäftigte in Kurzarbeit werden die Einkommensverluste so einschneidend sein, dass sie ohne ergänzende Sozialleistungen aus der Grundsicherung (Hartz IV) nicht über die Runden kommen. Dies sieht auch die Bundesregierung so und hat deshalb ein so genanntes „Sozialschutz-Paket“ verabschiedet, das während der Corona-Krise einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung ermöglichen soll, indem z.B. vorübergehend die Vermögensprüfung ausgesetzt wird oder die tatsächlichen Wohnungskosten voll übernommen werden.

Um einen durch die Kurzarbeit bedingten Anstieg von Hartz IV-Aufstocker*innen zu verhindern, wird mittlerweile als Alternative von verschiedenen politischen Akteuren eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes vorgeschlagen. Im Einzelnen fordern die verschiedenen Akteure eine Anhebung auf …

Insgesamt lassen sich bei den Vorschlägen zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes drei verschiedene Typen unterscheiden:

  1. eine einheitliche Erhöhung für alle Beschäftigten (DGB, SPD, Die Linke)
  2. eine nach Einkommensgruppen gestaffelte Erhöhung (ver.di, Bündnis 90/Die Grünen)
  3. ein Mindest-Kurzarbeitergeld, das sich am gesetzlichen Mindestlohn orientiert (CDA)

Um die Reichweite und Wirksamkeit der verschiedenen Vorschläge zur Erhöhung des Kurzarbeitergeldes abschätzen zu können, hat das WSI eine Modellrechnung durchgeführt, die zum einen unterschiedliche Erhöhungsstufen (70, 80 und 90 Prozent) berücksichtigt und innerhalb der Erhöhungsstufen zusätzlich noch den CDA-Vorschlag eines Mindest-Kurzarbeitergeldes von 1.200 Euro berücksichtigt (Tabelle 2; Daten zum Download xlsx).

 

Die WSI-Modellrechnung zeigt, dass viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor von der Einführung eines Mindest-Kurzarbeitergeldes überdurchschnittlich stark profitieren würden. Bei Beschäftigten ohne Kinder gilt dies bei dem aktuell gültigen Kurzarbeitergeld von 60 Prozent bis zu einem Bruttomonatseinkommen von 3.000 Euro. Würde man das Kurzarbeitergeld auf 70 Prozent erhöhen, läge der Schwellenwert noch bei 2.500 Euro und bei einer Erhöhung auf 80 Prozent noch bei etwa 2.000 Euro. Erst bei einer Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent würden lediglich diejenigen Beschäftigten von einem Mindest-Kurzarbeitergeld profitieren, die den gesetzlichen Mindestlohn oder knapp darüber erhalten. Bei Beschäftigten mit Kindern würde der Effekt des Mindest-Kurzarbeitergeldes etwas geringer ausfallen, wäre jedoch insgesamt ähnlich.

Insgesamt zeigt die WSI-Modellrechnung jedoch deutlich, dass eine alleinige Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf 70 oder 80 Prozent des Nettoentgeltes für viele Beschäftigte im unteren Lohnsegment nicht ausreicht, um auf zusätzliche Leistungen der Grundsicherung verzichten zu können. Soll eine deutliche Zunahme der Zahl der Hartz IV-Aufstocker vermieden werden, so müssten entweder das Kurzarbeitergeld für alle Beschäftigten auf 90 Prozent angehoben werden, wie dies Die Linke vorschlägt, oder es müssten wie im Vorschlag von ver.di zumindest die unteren Einkommensgruppen bis zu einem Monatseinkommen von 2.500 Euro eine höheres Kurzarbeitergeld von 90 Prozent erhalten. Alternativ könnte in Ergänzung zu einer allgemeinen Erhöhung auch ein Mindest-Kurzarbeitergeld eingeführt werden, wie es von der CDA vorgeschlagen wird.

Schließlich gehen alle Vorschläge explizit oder implizit davon aus, dass die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt werden soll. Demgegenüber existiert mittlerweile eine Vielzahl von Tarifverträgen (https://www.wsi.de/kurzarbeit), in denen sich die Arbeitgeber zu einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 80, 90 oder sogar 100 Prozent verpflichten und dementsprechend auch an den Kosten der Kurzarbeit stärker beteiligen. Die Gewerkschaften treten generell für eine stärkere Beteiligung der Arbeitgeber ein und fordern insbesondere, dass die jüngste Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit den Beschäftigten zugute kommt. Angesichts einer rückläufigen Tarifbindung kommen solche Tarifvereinbarungen allerdings nur einer Minderheit der Beschäftigten zu Gute. Nach Schätzungen des WSI-Tarifarchives profitiert gerade einmal knapp die Hälfte aller Tarifbeschäftigten und höchstens ein Viertel aller Beschäftigten insgesamt von tarifvertraglichen Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes. In der Tendenz erhalten eher höher verdienende Beschäftigtengruppen auch ein höheres tarifvertragliches Kurzarbeitergeld. Da gerade im Niedriglohnsektor nur noch eine Minderheit der Beschäftigten überhaupt in tarifgebundenen Unternehmen arbeitete, ist hier eine gesetzliche Erhöhung des Kurzarbeitergeldes besonders nötig.

Erratum 15.04.2010: In einer früheren Version waren die Daten in Tabelle 1 fehlerhaft angeordnet. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten darum, dies zu entschuldigen.

 

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Autoren

Dr. Reinhard Bispinck, Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln, Promotion 1986. Ab 1979 wissenschaftlicher Referent am WSI, von 1989 bis 2017 Leiter des WSI-Tarifarchivs, 2013 bis 2017 Abteilungsleiter des WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Forschungsschwerpunkte: Tarifpolitik, Industrielle Beziehungen, Sozialpolitik.

Prof. Dr. Thorsten Schulten, Studium der Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität Marburg, Promotion 2004. Seit 2004 Referent für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa am WSI, seit 2016 Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen, seit 2017 Leiter des WSI-Tarifarchivs. Forschungsschwerpunkte: International vergleichende Lohn- und Tarifpolitik, Arbeitsforschung, Industrielle Beziehungen

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