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Ein Blatt mit der Aufschrift 'Mitbestimmung' wird zerrissen Pressemitteilungen

Neue Untersuchung des WSI: Behinderung von Betriebsratsgründungen: Keineswegs nur Einzelfälle, besonders häufig Probleme in inhabergeführten Unternehmen

17.08.2020

Meistens kommen Betriebsrat und Management in deutschen Unternehmen ganz gut miteinander klar. Trotzdem sind Behinderungen von Betriebsratswahlen keine Einzelfälle, insbesondere, wenn Beschäftigte erstmals eine Vertretung wählen wollen. Eine neue Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung liefert Hinweise darauf, dass Arbeitgeber schätzungsweise jede sechste Neugründung von Betriebsräten behindern, obwohl das ein Straftatbestand ist. Sie schüchtern Kandidaten ein, drohen mit Kündigung oder verhindern die Bestellung eines Wahlvorstands. Besonders verbreitet ist Druck gegen Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, in mittelgroßen eigentümergeführten Unternehmen. In rund einem Drittel der Fälle, in denen sich der Arbeitgeber der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats entgegenstellt, findet diese am Ende nicht statt. Deutlich seltener können Arbeitgeber die Neuwahl von bereits etablierten Betriebsratsgremien verhindern.

Unternehmen mit Betriebsrat bieten bessere Arbeitsbedingungen, und sie sind im Mittel produktiver und oft innovativer als Firmen ohne betriebliche Mitbestimmung. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Ist ein Betriebsrat etabliert, läuft die Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung meist gedeihlich. In der WSI-Betriebsrätebefragung von 2017 bewerteten knapp 60 Prozent der Beschäftigtenvertreter das Verhältnis zum Management als „sehr gut“ oder „gut“, lediglich 15 Prozent vergaben die Schulnoten vier oder fünf. Doch es gibt auch Arbeitgeber, die mit Schikanen reagieren, wenn Beschäftigte ihre gesetzlich verbrieften Mitbestimmungsrechte in Anspruch nehmen. Besonders häufig ist ein aggressives Vorgehen gegen Neugründungen von Betriebsräten, zeigt die neue Studie von PD Dr. Martin Behrens und Dr. Heiner Dribbusch.
 
Die Forscher haben im vergangenen Jahr Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus 172 regionalen Organisationen der IG BCE, der IG Metall und der NGG zu ihren Erfahrungen mit der Durchführung von Betriebsratswahlen befragt. Interviewt wurden gezielt Experten in regionalen Gliederungen, die einen guten Einblick über die betriebliche Situation in ihrer Gegend haben. 42 Prozent der Befragten (72 in absoluten Zahlen) kannten Fälle, in denen Arbeitgeber versucht hatten, Betriebsratswahlen zu behindern. Besonders rau scheint es in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie und dem Gastgewerbe zuzugehen: 52 Prozent der befragten NGG-Hauptamtlichen hatten Kenntnis von Störmanövern von Arbeitgebern. In der Metall- und Elektroindustrie sind es 44 Prozent, im Organisationsbereich der IG BCE 33 Prozent. Im Mittel der betrachteten Branchen  berichteten 27 Prozent der befragten Gewerkschafter darüber hinaus von Versuchen, die Arbeit etablierter Betriebsratsgremien jenseits von Wahlen zu hintertreiben. 

In inhabergeführten Unternehmen überproportional oft Behinderungen

Insgesamt waren den Befragten, die von Behinderungen von Betriebsratswahlen berichteten, 185 Betriebe bekannt, in denen es in den drei Jahren vor der Befragung dazu gekommen ist. Die Behinderungen ereigneten sich nach der WSI-Auswertung mehrheitlich in Betrieben der mittleren Größenklasse mit 50 bis 200 Beschäftigten. Überproportional häufig kamen Aktivitäten gegen Betriebsratswahlen in inhabergeführten Unternehmen vor. Offenkundig stießen Beteiligungsrechte von Beschäftigten besonders da auf Widerstand, „wo Eigentümer ihr Geschäft persönlich führen und nur eine geringe Bereitschaft zeigen, die Macht im Betrieb mit einer weiteren Instanz zu teilen“, schreiben die Forscher.   

In 28 Prozent der 185 Betriebe mit Behinderungsversuchen ist die Wahl letztlich vereitelt worden. Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen erstmaligen und Wiederholungswahlen: In den Betrieben, in denen Beschäftigte erstmals einen Betriebsrat wählen wollten, fanden 33 Prozent der Wahlen letztlich nicht statt. In Betrieben, die schon länger einen Betriebsrat hatten und in denen der Arbeitgeber vor einer Neuwahl Druck machte, fielen 8 Prozent der Wahlen aus.

Wie häufig insgesamt das Management in Betriebsratswahlen eingreift, können die WSI-Experten für die untersuchten Organisationsbereiche von IG Metall, IGBCE und NGG ebenfalls abschätzen. In den 39 Bezirken der IG BCE, den Zuständigkeitsbereichen der 110 IG-Metall-Geschäftsstellen sowie der 23 NGG-Regionen, die in die Befragung einbezogen waren, gab es zwischen 2016 und 2018 Wahlen zu insgesamt 11.364 Betriebsräten. Bei 1,6 Prozent dieser Wahlen erhielten die drei Gewerkschaften also Kenntnis von Obstruktionsversuchen des Managements. Weitaus häufiger waren Schikanen jedoch bei Neugründungen von Betriebsräten: Von 924 erstmals durchgeführten Betriebsratswahlen waren 15,6 Prozent von Behinderungen seitens der Arbeitgeber betroffen. Dieser erhebliche Anteil relativiere die vermeintlich niedrige Gesamtquote, analysieren die Wissenschaftler. Denn die Unternehmenslandschaft sei immer in Bewegung: Neue Firmen werden gegründet, manche ältere verschwinden. Ähnliches gelte für Betriebsräte.   

Einschüchterung von Kandidaten, Aktivitäten gegen den Wahlvorstand, Kündigungen

Behrens und Dribbusch haben auch ermittelt, wie das Repertoire der Arbeitgeberaktivitäten aussieht. Um Betriebsratswahlen zu sabotieren, pflegen Unternehmen demnach vor allem mögliche Kandidaten einzuschüchtern. Das geschah laut der Befragung in 69 Prozent der Fälle, in denen es zu einer Behinderung kam. In 66 Prozent der Konfliktfälle versuchten Arbeitgeber, die Bestellung eines Wahlvorstands zu verhindern, bei 43 Prozent unterstützten sie ihnen nahestehende Kandidaten. In 17 Prozent der betroffenen Betriebe wurde sogar Kandidaten gekündigt. Nach Angabe der befragten Gewerkschafter nahmen gut 40 Prozent der Arbeitgeber, die Betriebsratswahlen behinderten, bei ihren Störaktionen externe Hilfe durch Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen in Anspruch. Zu den gängigen Maßnahmen gegen bereits gewählte Gremien gehören Versuche, Mitglieder zu kündigen (in 84 Prozent der Fälle, in denen es zu einem Behinderungsversuch kam), zum Rücktritt zu drängen (71 Prozent) und Auflösungsanträge beim Arbeitsgericht (33 Prozent). 

Fazit: Besserer rechtlicher Schutz für Kandidaten, wirksamere Sanktionen

„Die überwiegende Mehrheit der bereits etablierten Betriebsräte wird von ihren Geschäftsleitungen akzeptiert und vielfach auch respektiert. Im Falle einer erstmaligen Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung ändert sich dies allerdings schlagartig“, schreiben die Forscher in ihrem Fazit. „Das gesetzlich verbriefte Recht, einen Betriebsrat wählen zu dürfen, muss hier oft gegen teils harte Widerstände erstritten werden.“ Am häufigsten seien Auseinandersetzungen in Bereichen mit großen „weißen Flecken“. Also dort, wo Mitbestimmung bislang schwach vertreten ist und Beschäftigte und ihre Gewerkschaften versuchen, das zu ändern. 

Die Untersuchung unterstreicht nach Analyse der Forscher, wie notwendig ein erweiterter gesetzlicher Schutz vor Eingriffen des Managements ist. Wichtig seien einerseits gesetzliche Reformen, die auch Kandidatinnen und Kandidaten bei Betriebsratswahlen gegen Repressionen des Arbeitgebers absichern. Andererseits müssten Verstöße wirksamer als bisher sanktioniert werden. Experten raten daher etwa zur Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die auf gesetzwidrige Eingriffe von Unternehmen in Betriebsratswahlen spezialisiert sind und diese verfolgen.


Kontakt:
Rainer Jung, Leiter Pressestelle

Quelle

Martin Behrens, Heiner Dribbusch: Umkämpfte Mitbestimmung: Ergebnisse der dritten Befragung zur Be- und Verhinderung von Betriebsratswahlen. In: WSI-Mitteilungen 4/2020.

Ein pdf der Studie schicken wir Journalistinnen und Journalisten auf Anfrage gerne zu.

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