zurück
WSI-Mitteilungen

Bothfeld, Silke / Rosenthal, Peer : Paradigmenwechsel durch inkrementellen Wandel: Was bleibt von der Arbeitslosenversicherung?

Ausgabe 03/2014

WSI-Mitteilungen 3/2014, Seiten 199–206

Zusammenfassung

Die Reformen der deutschen Arbeitslosenversicherung lassen sich als inkrementeller paradigmatischer Wandel interpretieren: Das ursprüngliche Ziel, bei vorübergehender Arbeitslosigkeit den Lebensstandard zu garantieren, wurde dem Ziel der schnellen Wiederbeschäftigung untergeordnet. Dieser Politikwechsel ist nicht nur rhetorisch, da zwei für Sozialversicherungssysteme typische Policyprinzipien verändert wurden: das Äquivalenzprinzip bei der Leistungsbemessung wurde enger gefasst und die Statussicherung unterminiert. Der Paradigmenwechsel lässt sich vor allem an den vielen kleinteiligen institutionellen Veränderungen ablesen. Die Engführung der Leistungsäquivalenz ergibt sich etwa durch die Verkürzung der Rahmenfrist und der Bezugsdauer, sodass ein wachsender Anteil von Arbeitslosen trotz Vorleistungen aus dem Leistungsbezug ausgeschlossen wird. Die Unterminierung der Statussicherung zeigt sich in der verschärften Zumutbarkeit, dem restriktiveren Sperrzeitenrecht sowie in dem Rückbau des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. Zwar gelten viele Elemente des Sozialversicherungssystems fort, insgesamt zeigt sich jedoch ein schleichender Abschied von dem mittelschichtsorientierten Modell der Absicherung bei Arbeitslosigkeit.

Abstract

Unemployment insurance reforms in Germany over the last decade represent a paradigmatic change of the system as a whole. The adjustment of instruments and the modification of the tool box have undergone change as well as the overall orientation of the scheme. The original objective of maintaining a once attained quality of life, which was typical for the German social insurance system, has been gradually replaced by the aim of quick re-employment. This policy change is more than symbolic since two basic policy principles have been changed, the principle of equivalence in benefit reception and the protection of the formal status. We argue that paradigmatic change is here due to the accumulation of incremental modifications. The erosion of the equivalence principle is e.g. institutionalized in shorter reference periods or benefit durations so that a growing number of the unemployed are excluded from benefit reception despite earlier contributions. The status protection is undermined by stricter conditionality criteria and the dismantling of the tool box of active labour market policies. To be sure, many elements of the old regime remain in force, but reforms nevertheless represent a creeping dismissal of the middle-class focused model of social protection against unemployment.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen