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Miriam Rehm und Sarah Tesar, 04.09.2018: Kostenfaktor 12-Stunden-Tag

Ein neues Gesetz erlaubt in Österreich einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Woche. Überlange Arbeitszeiten haben jedoch direkte ökonomische Auswirkungen: Übermüdung, Erschöpfung und Unkonzentriertheit mindern die Produktivität. Dabei könnte sich das hochproduktive Land eine Reduzierung der Arbeitszeit locker leisten.

Die rechts-konservative Regierung in Österreich hat eine gesetzliche Erhöhung der Höchstarbeitszeit ab 1. September beschlossen – genau 100 Jahre nachdem in Österreich der generelle 8-Stunden-Tag eingeführt worden war. Die öffentliche Debatte contra Verlängerung drehte sich hauptsächlich um Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dabei haben überlange Arbeitszeiten auch direkte ökonomische Auswirkungen: Sie führen zu Übermüdung, Erschöpfung und Unkonzentriertheit der Arbeitnehmer/innen. Das verringert deren Produktivität, und bei zwölf Stunden Arbeitszeit geht ihr zusätzlicher Output sogar gegen Null. Zudem steigt das Unfallrisiko ab der neunten Stunde exponentiell an. Diese Nachteile der Verlängerung der Höchstarbeitszeit schlagen sich auch auf der Kostenseite der Unternehmen nieder. Dabei zeigt der internationale Vergleich: Österreich könnte sich aufgrund seiner hohen Produktivität eine Reduktion der Arbeitszeit leisten. Genau das bräuchte es für ein gutes Leben, bei dem Beruf und Freizeit im Einklang stehen. Eine Arbeitszeitverkürzung wie etwa durch eine sechste Urlaubswoche wäre ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung.

Das neue 12-Stunden-Höchstarbeitsgesetz in Österreich

Österreicher/innen arbeiten im internationalen Vergleich bereits jetzt sehr lange. Sowohl bei den tatsächlich geleisteten als auch bei den gesetzlich möglichen wöchentlichen Arbeitsstunden liegt Österreich auf Platz 3 im EU-Vergleich. In Ausnahmefällen konnten bereits bisher 12-Stunden-Tage vereinbart werden.

Das neue Gesetz erlaubt ab 1. September 2018, dass die maximale Arbeitszeit generell 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche betragen darf. Nur der EU-Mindeststandard, wonach über 17 Wochen die durchschnittliche Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche betragen darf, begrenzt die Höchstarbeitszeit weiterhin. 

Somit ist es in Österreich ab 1. September möglich, dass Arbeitgeber/innen knapp sieben 60-Stunden Wochen am Stück anordnen, wenn danach zehn Wochen regulär Vollzeit gearbeitet wird. Wird anschließend Zeitausgleich genommen, sind sogar elf aufeinander folgende 60-Stunden-Wochen möglich.

Höchstarbeitszeit-Verlängerung und Ruhezeit-Verkürzung 

Das Gesetz der Bundesregierung zum 12-Stunden-Tag und der 60-Stunden-Woche weitet die Höchstarbeitszeit somit ohne Gegenleistung aus. Die Ruhezeiten zwischen Diensten werden zum Teil sogar verkürzt. 

Das neue Gesetz schwächt daher die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer/innen: Bisher war die Zustimmung des Betriebsrates zu 12-Stunden-Tagen nötig. Damit gab es einen Abtausch zum Beispiel gegen verpflichtend zu gewährende längere Freizeitblöcke, gegen höhere Bezahlung oder gegen andere Verbesserungen. Gab es keinen Betriebsrat, war eine Einzelvereinbarung und die Bescheinigung der medizinischen Unbedenklichkeit so langer Arbeitszeiten notwendig.

Während die Arbeitnehmer/innen-Vertretungen das neue Gesetz scharf kritisieren und die Gewerkschaft mit der Zivilgesellschaft eine Demonstration mit 100.000 Menschen organisierte, stehen die Vertretungen der Arbeitgeber/innen (u.a. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung) hinter dem Gesetz. Aber wie wirkt sich die Verlängerung der täglich möglichen Arbeitszeit tatsächlich auf die Kosten der Betriebe aus?

Leistungsabfall bei überlanger Arbeitszeit

Internationale Studien zeigen, was für viele Menschen intuitiv offensichtlich ist: Die Produktivität der Arbeitnehmer/innen sinkt mit längeren Arbeitszeiten. An einen 4-Stunden-Tag geht man mit einer völlig anderen Einstellung heran als an einen 8-Stunden- oder einen 12-Stunden-Tag. So benötigen zum Beispiel Angestellte in Call Centern sogar bei Teilzeitarbeit immer mehr Zeit zum Beantworten eines Anrufs, je länger sie arbeiten – ihre Produktivität sinkt. Studien aus dem Warenproduktionssektor belegen, dass die Produktivität bei etwas über acht Stunden am höchsten ist, und danach mit jeder weiteren Stunde stark zu sinken beginnt.

Dieser Zusammenhang – höhere Produktivität bei kürzerer Arbeitszeit– zeigt sich auch im Ländervergleich. OECD Länder mit der längsten tatsächlich geleisteten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit haben auch die geringste durchschnittliche Arbeitsproduktivität, wie die Abbildung zeigt. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Länder mit höherer Arbeitsproduktivität können sich geringere Arbeitszeit leisten. Eine fortschrittliche Interpretation dieser Grafik führt daher zur Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche, beziehungsweise nach mehr Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensfreizeit.

Gesundheitsrisiko: Überlange Arbeitszeit

Tatsächlich zeigen aber Erhebungen, dass die meisten Menschen bei einer Ausweitung der Arbeitszeit erwarten, dass es zu gesundheitlichen Schäden (81 %), zu einer erhöhten Fehleranfälligkeit (76 %) sowie zu einer erhöhten Gefahr von Arbeitsunfällen (71 %) kommt. 

Diese Befürchtungen sind berechtigt. So ist das Unfallrisiko laut internationalen Studien bei zwölf Stunden gegenüber einem 8-Stunden-Tag bereits um knapp 40 % höher. Nach der neunten Stunde steigt das Unfallrisiko exponentiell an und verdreifacht sich beinahe nach der zwölften Arbeitsstunde.

Auch eine Studie der MedUni Wien dokumentiert die gesundheitlichen Folgen überlanger Arbeitszeiten. Altenpfleger/innen sind nach einem 12-Stunden-Arbeitstag so erschöpft, dass sie nach zwei solchen Tagen sogar drei Tage freinehmen müssten, um sich wieder vollständig zu erholen. Bei 60-Stunden-Wochen sind die körperlich erforderlichen Ruhezeiten somit unmöglich einhaltbar.

Langfristige gesundheitliche Auswirkungen, etwa durch erhöhtes Risiko für Burnout und Depressionen, sind hier noch gar nicht einbezogen. Überlange Arbeitszeiten reduzieren daher auch aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen die Arbeitsproduktivität und erhöhen somit die Kosten für die Unternehmen.

Arbeitzeitverkürzung statt Höchstarbeitszeit-Verlängerung

Der europäische Vergleich zeigt, dass Österreich schon heute im Spitzenfeld liegt, was Arbeitszeiten betrifft. Sogar aus Sicht der betrieblichen Effizienz ist das Arbeitszeit-Gesetz der Regierung daher eine unsinnige Maßnahme. Menschen sind keine Maschinen, sie ermüden mit jeder zusätzlichen Stunde Arbeit und können somit weniger leisten. Bei zwölf Stunden Arbeit am Tag geht der zusätzliche Output sogar gegen Null. Von überlangen Arbeitszeiten werden Menschen zudem krank – körperlich durch Unfälle und langfristige Arbeitsschäden, aber auch psychisch, weil Stress, mangelnde soziale Kontakte und fehlende Erholung ins Burnout und in die Depression führen können. Auch das kostet Unternehmen Geld.

Stattdessen bräuchte es eine progressive Politik. Diese stellt die Lebensqualität der Menschen ins Zentrum, und das bedeutet heute vor allem Zeit-Reichtum. Nur wer die Zeit hat, Muße zu haben, kann ein „gutes Leben“ führen, das auch erfüllt ist. Eine Verkürzung der Arbeitszeit, etwa durch eine sechste Urlaubswoche, wäre ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung. Ein Blick auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität zeigt, dass sich Österreich wirtschaftlich gesehen eine Arbeitszeitverkürzung locker leisten kann.
 

Dieser Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Artikels von Miriam Rehm und Sarah Tesar, der am 18. Juli 2018 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft erschienen ist. 

Miriam Rehm, PhD, ist Juniorprofessorin für empirische Ungleichheitsforschung am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen und affiliiert am Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien.. 

Sarah Tesar ist Betriebswirtin und Ökonomin in der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien mit den Schwerpunkten Branchenanalysen, Betriebsräteberatung (insbesondere Energie- und Versicherungsbranche) sowie ökonomischen Studien. 

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