
Quelle: dpa
Şerife Erol/Anneliese Kärcher/Thorsten Schulten/Manfred Walser, 12.06.2025: Direktanstellung per Gesetz: Bilanz der Erfahrungen in der Fleischindustrie
Verbot von Werkverträgen, Einschränkung der Leiharbeit, bessere Arbeits- und Lebensverhältnisse für die Beschäftigten in der Fleischindustrie: Hat das Direktanstellungsgebot in der Fleischindustrie seine Ziele erreicht?
Mit dem 2020 beschlossenen „Arbeitsschutzkontrollgesetz“ (ASKG) wurde das bisherige Arbeits- und Geschäftsmodell der Fleischindustrie, das wesentlich auf dem Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten beruhte, grundlegend in Frage gestellt. Das Gesetzespaket umfasst eine Reihe von Maßnahmen, die die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Beschäftigten in der Fleischwirtschaft verbessern sollen. Darunter ist das sogenannte Direktanstellungsgebot (§ 6a Abs. 2 GSA Fleisch), das den Einsatz von Werkverträgen und Leiharbeit im Kernbereich der fleischwirtschaftlichen Produktion verbietet.
Wie wurde das Gesetz umgesetzt? Wie haben sich die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie die Wechselbeziehungen zwischen gesetzlichen Regulierungen und industriellen Beziehungen verändert? Diesen Fragen ist ein mehrjähriges gemeinsames Forschungsprojekt des WSI und des HSI der Hans-Böckler-Stiftung nachgegangen. Anhand einer Vielzahl von Betriebsfallstudien sowie einer rechtswissenschaftlichen Analyse des ASKG wurden die Entwicklungen in der Fleischindustrie mit Fokus darauf untersucht, ob es in Deutschland gelingen kann, eine Branche, die bislang weitgehend auf prekären Beschäftigungsverhältnissen und hoch fragmentierten Arbeitsbeziehungen beruhte, neu zu ordnen. Zudem wurde geprüft, ob die dabei gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Branchen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, übertragbar sind.
Wie hat sich das Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie in der Praxis bewährt? Wo wurden Fortschritte in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erreicht?
Klare Verantwortlichkeiten in den Betrieben
Als wichtigstes Ergebnis ist festzuhalten, dass durch das ASKG die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ eines undurchsichtigen Subunternehmernetzwerkes in der Fleischindustrie beendet wurde. Durch das Direktanstellungsgebot ist es gelungen, klare rechtliche Verantwortlichkeiten in den Betrieben zu schaffen. Dies bildet die Grundlage dafür, dass gesetzliche – besonders arbeits- und arbeitsschutzrechtliche – Standards effektiv durchgesetzt werden können.
Mit der Verabschiedung des ASKG wurden in allen untersuchten Betrieben spätestens seit dem 1. Januar 2021 alle ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten von den Fleischunternehmen übernommen. Dies wird auch durch die Daten des Statistischen Bundesamtes bestätigt, die repräsentative Aussagen für die gesamte Branche ermöglichen. Der Effekt des ASKG auf die Zunahme der Beschäftigtenzahl ist im Zeitraum zwischen 2020 und 2021 deutlich erkennbar. Im Jahr 2021 verzeichnete die Branche einen Anstieg um insgesamt 23.059 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, was einer Zunahme von etwa 18 Prozent im Vergleich zu 2020 entspricht.
Arbeits- und Gesundheitsschutz
Durch die Direktanstellung werden die bestehenden Regeln zum Arbeits- und Gesundheitsschutz nun auch auf die ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten angewendet und eingehalten, wodurch sich deren Arbeitssituation deutlich verbessert hat. Entscheidend hierfür war die durch die Direktanstellung geschaffene Transparenz in der Branche, die sowohl die Kontrolle gesetzlicher Arbeitsstandards durch Betriebsräte und staatliche Behörden als auch deren Durchsetzung deutlich erleichtert. Zwar fühlten sich einige Betriebsräte bereits vor dem ASKG für die Gesundheit der Beschäftigten in Subunternehmen verantwortlich und agierten bei Unfällen entsprechend, doch wurde mehrfach belegt, dass Arbeitsunfälle in den ehemaligen Subunternehmen nicht immer bei der Berufsgenossenschaft BGN gemeldet wurden. Die tatsächliche Unfallquote in diesen Subunternehmen stellt daher eine Dunkelziffer dar. Betrachtet man ausschließlich die bei der BGN gemeldeten Arbeitsunfälle in ehemaligen Subunternehmen und vergleicht sie mit den übrigen Betrieben der Fleischwirtschaft, zeigt sich, dass die Unfallbelastung dort vor Einführung des ASKG mindestens doppelt so hoch war (Erol/Schulten 2025: 53). Der zuvor willkürliche Umgang mit Arbeitsunfällen, der in der Branche weit verbreitet war, wurde so erheblich eingeschränkt.
Die meldepflichtigen Arbeitsunfälle in der Fleischwirtschaft haben seit der Einführung des ASKG kontinuierlich abgenommen.
Wohn- und Lebensverhältnisse
Ein weiteres Ziel des ASKG war es, bessere Lebens- und Wohnbedingungen für die zahlreichen Arbeitsmigrant*innen sicherzustellen, die eine Werkswohnung benötigen. Mittlerweile sind deutliche Verbesserungen bei den Wohnungen und Lebensumständen der Beschäftigten festzustellen. Allerdings lässt sich dies vorwiegend bei den Großbetrieben beobachten.
Arbeitsbedingungen nach dem ASKG
Die Löhne in der Fleischindustrie wurden insgesamt angehoben. Allerdings arbeitet ein Großteil der Beschäftigten nach wie vor im Niedriglohnsektor und erhält vor allem in den nicht tarifgebundenen Unternehmen oft nicht viel mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Bei den Arbeitszeiten hat die Verpflichtung zur elektronischen Erfassung dazu geführt, dass exzessive Überstunden und unbezahlte Mehrarbeit weitgehend verschwunden sind. Durch die elektronische Erfassung der Arbeitszeiten wird die Einhaltung des Mindestlohns weitgehend gewährleistet. Allerdings ist es bisher in vielen Unternehmen noch nicht gelungen, einheitliche Vertragsbedingungen für alle Beschäftigten zu schaffen. Oft arbeiten die neu eingestellten Arbeitnehmer*innen nicht zu den gleichen Bedingungen wie Altbeschäftigte. Insgesamt sind einheitliche Arbeitsbedingungen nach dem Prinzip „gleiche Arbeit, gleiche Bedingungen“ jedoch eine wichtige Voraussetzung, um die dauerhafte Integration der ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten zu gewährleisten. Hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf.
Fragmentierte Tariflandschaft
Die Fleischindustrie ist nach wie vor eine ausgeprägte Niedriglohnbranche. Das hängt vor allem mit der sehr fragmentierten Tarifvertragsstruktur und der insgesamt sehr niedrigen Tarifbindung in der Branche zusammen. Rund zwei Drittel der Beschäftigten in der Branche arbeiten ohne tarifvertraglichen Schutz. Das ASKG hat diese Situation bislang noch nicht grundlegend verändert. Nach wie vor existieren in der Branche etwa 50 Haustarifverträge, während die große Mehrzahl der Betriebe nicht tarifgebunden ist (siehe Abbildung 3).
Der öffentliche Druck auf die Fleischindustrie in der Corona-Krise hat kurzzeitig zu einer größeren Bereitschaft geführt, in Tarifverhandlungen einzusteigen. Im Ergebnis hat dies auch zu einem neuen tarifvertraglichen Branchenmindestlohn geführt, der in seinem Niveau jedoch recht bald vom gesetzlichen Mindestlohn eingeholt und damit unwirksam wurde.
Seitdem bildet der gesetzliche Mindestlohn die Untergrenze in der Branche. Ob es erneut zu einem Branchenmindestlohn kommt, ist derzeit ungewiss. Schon beim ersten Treffen am 6. Februar 2025 gingen die Tarifparteien rasch wieder auseinander. Während Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft NGG, betonte: „Wir waren zum Verhandeln und nicht zum Sondieren verabredet“ (DGB-Pressemitteilung vom 06.02.2025), zeigte sich der Sozialpolitische Ausschuss der Fleischwirtschaft (SPA), der für die Tarifverhandlungen in der Branche verantwortlich ist und vom Arbeitgeberverband Verband der Ernährungswirtschaft e.V. (VdEW) geleitet wird, überrascht darüber, dass „die Gewerkschaft NGG ohne nachvollziehbaren Grund [die Gespräche] abrupt am Vormittag abgelehnt [hat].“ (VdEW Presseerklärung 01/2025).
Die NGG forderte den SPA zu einem neuen Verhandlungstermin auf – bislang ist jedoch unklar, wie es in der Branche weitergeht. Gerade in einer Branche, in der hohe Fluktuation und mangelnde Mitarbeiterbindung zu den größten Herausforderungen zählen, könnten flächendeckende Mantel- und Lohntarifverträge einheitliche Arbeitsbedingungen sichern, was letztlich auch im Interesse der Arbeitgeberseite sein dürfte.
Wie ist die Rechtskonformität des ASKG einzuschätzen? Inwieweit hat das Gesetz Modellcharakter für andere Branchen?
Das Direktanstellungsgebot in der Fleischindustrie ist verfassungsrechtlich zulässig.
Es ist dazu geeignet, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, und bildet die Grundlage für effektive Rechtswahrnehmung und -durchsetzung und somit für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer*innen. Es ist zudem erforderlich, denn mildere Mittel, welche die gleiche Wirksamkeit entfalten und weniger einschneidend sind, bestehen nicht. Insbesondere eine Verschärfung des Arbeitsrechts durch striktere Regelungen setzt nicht am Auslöser der prekären Bedingungen an – der Intransparenz und den abgeschobenen Verantwortlichkeiten der Auftraggeber, die die Arbeitsorganisation dennoch stark beeinflussen.
Das Direktanstellungsgebot in der Fleischindustrie ist unionsrechtlich zulässig.
Aus denselben Überlegungen ist das Direktanstellungsgebot auch unionsrechtlich zulässig. Außerdem sind die Vorgaben nicht diskriminierend und sie werden kohärent angewandt. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot liegt nicht vor. Vielmehr schafft das Direktanstellungsgebot Wettbewerbsgleichheit.
Eine Übertragung des Direktanstellungsgebots auf weitere Branchen wäre unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll und zulässig.
- Bei einer Übertragung sollten folgende Gesichtspunkte einer wertenden Gesamtbetrachtung unterzogen werden:
- In der Branche werden die Leistungen im Kernbereich der Tätigkeit in wesentlichen Teilen durch Fremdpersonal erbracht.
- Dieser Fremdpersonaleinsatz führt zu Intransparenz und unklaren Verantwortlichkeiten, z. B. weil Struktur und Art der Leistungserbringung weitgehend von den auftraggebenden Unternehmen vorgegeben werden oder weil das Nebeneinander unterschiedlicher Beschäftigungsformen eine Zuordnung erheblich erschwert.
- Es besteht eine hohe Vulnerabilität eines großen Teils der Beschäftigten, z. B. aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, ihres Ausbildungsniveaus, ihrer Sprachkenntnisse etc.
- In der Branche gibt es ein erhebliches Ausmaß von illegaler Beschäftigung und Verstößen gegen zwingende Mindestarbeitsbedingungen.
- Die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen ist in der Branche nicht ausreichend sicherzustellen, z. B. aufgrund der erwähnten Intransparenz infolge eines extensiven Fremdpersonaleinsatzes.
- Den Missständen kann aufgrund der strukturellen Voraussetzungen der Branche auch mit kollektivarbeitsrechtlichen Instrumenten nicht ausreichend begegnet werden.
- Es stehen keine milderen ähnlich wirksamen Durchsetzungsinstrumente zur Verfügung.
- Die Branche oder Teilbranche lässt sich rechtssicher abgrenzen.
Fazit
Die Entwicklung der Fleischindustrie seit Einführung des ASKG zeigt insgesamt ein sehr gemischtes Bild: Auf der einen Seite haben die gesetzlichen Maßnahmen zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit sowie der Kontrolle der Arbeitsbedingungen zu spürbaren Verbesserungen für die Beschäftigten geführt. Das ASKG hat sich auch insofern als ein „Game Changer“ erwiesen, als dass nun mehr klare Verantwortlichkeiten für die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten definiert sind. Für die betriebliche Interessenvertretung haben sich hierbei die Bedingungen erst einmal grundlegend verbessert, auch wenn die zusätzlich gewonnenen Ressourcen der Betriebsräte mit einer erheblichen Ausweitung ihres Aufgabenspektrums einhergehen.
Nicht gelungen ist hingegen eine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgeht. Nach wie vor ist die Fleischindustrie eine ausgeprägte Niedriglohnbranche: Sie kann nur deshalb ihr aktuelles Geschäftsmodell verfolgen, weil sie unter Ausnutzung des in Europa bestehenden Lohngefälles vor allem Arbeitsmigrant*innen aus Osteuropa beschäftigt. Dennoch sollte nicht unterschätzt werden, dass aufgrund der Instrumente des ASKG zumindest die tatsächliche Einhaltung dieser Mindestbedingungen deutlich verbessert worden ist. So kommen bspw. Arbeitszeitverstöße deutlich seltener vor und auch der Arbeitsschutz wurde erheblich verbessert. Eine grundlegende Verbesserung von Löhnen und Arbeitsbedingungen über gesetzliche Mindeststandards hinaus ist nur im Rahmen von Tarifverträgen möglich. Hierzu müssten einerseits die Gewerkschaften ihre Organisationsmacht erhöhen. Zugleich haben aber gerade auch die Erfahrungen mit dem ASKG gezeigt, dass Veränderungen in der Branche nur dann möglich sind, wenn ein entsprechender öffentlicher Druck durch Politik und Gesellschaft besteht.
Zum Weiterlesen:
Şerife Erol und Thorsten Schulten
Neue Arbeitswelt in der Fleischindustrie? Eine Bilanz der Veränderungen nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, WSI Study, Nr. 41, Düsseldorf 2025
Anneliese Kärcher und Manfred Walser
Durchsetzung von Arbeitsrecht – das Arbeitsschutzkontrollgesetz als Modell? Verfassungs- und europarechtliche Fragen mit besonderer Berücksichtigung des Direktanstellungsgebots, HSI-Schriftenreihe Bd. 54, Frankfurt a. M. 2025
Autor*innen
Dr. Serife Erol ist Wissenschaftliche Referentin am WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Arbeitsbeziehungen und Erwerbsregulierung, Weiterbildung und Qualifizierung, Arbeit und Organisation.
Dipl.-Jur. Anneliese Kärcher ist Rechtswissenschaftlerin und Doktorandin im Arbeitsrecht mit Bezügen zum Sozialrecht an der Universität Oldenburg und der Hochschule Mainz. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im europäischen und nationalen Recht der sozialen Sicherung, insbesondere im Bereich des Fremdpersonaleinsatzes.
Prof. Dr. Thorsten Schulten ist Politikwissenschaftler und Leiter des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.
Prof. Dr. Manfred Walser ist Professor für Arbeitsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Mainz.