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WSI Mitteilungen 3/2023 WSI-Mitteilungen

Rödl, Florian : Der Tarifvertrag: Ausdruck privater oder politischer Autonomie?

Ausgabe 03/2023

DOI: 10.5771/0342-300X-2023-3-168

Seiten 168-176

Zusammenfassung

Das Grundverständnis der Tarifautonomie ist in begrifflicher und normativer Hinsicht stark umstritten. Das derzeit herrschende und auch von der Rechtsprechung vertretene Verständnis von Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie verkürzt konzeptionell ihre Reichweite, schlägt sich in der Handhabung des geltenden Tarifvertragsrechts restriktiv nieder und stellt sich wichtigen Reformanliegen zur staatlichen Stützung des Tarifvertragssystems entgegen. Diesem herrschenden Verständnis – argumentiert der Autor – ist in der Rechtswissenschaft, vor den Arbeitsgerichten und in der Rechtspolitik entgegenzuhalten, dass es sich bei der Tarifautonomie um eine Form der politischen Autonomie handelt. Tarifautonomie befugt frei gebildete Koalitionen als Tarifvertragsparteien zu einer von staatlicher Politik unabhängigen Setzung von Rechtsnormen. Die Ausübung dieser autonomen Befugnis ist notwendig, um die Arbeitsbeziehungen gerecht zu gestalten. Darum ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie eminente staatliche Aufgabe, die von staatlicher Politik schon allzu lange sträflich vernachlässigt wird.

Abstract

The basic understanding of collective bargaining autonomy is highly contested in conceptual and normative terms. Today’s prevailing understanding of collective bargaining autonomy as collectively exercised private autonomy limits its scope conceptually, operates restrictively in adjudication of the law of collective agreements and works against important legislative projects to support the collective agreement system. The author argues that this prevailing understanding must be countered in jurisprudence, before the labour courts and in legal policy with the contention that collective bargaining autonomy is a form of political autonomy. Collective bargaining autonomy empowers free coalitions as parties to collective agreements to set legal norms independently of state policy. The exercise of this autonomous power is necessary to shape industrial relations fairly. This is why safeguarding the functioning of collective bargaining autonomy is an eminent state task that has been neglected by state policy for too long.

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