Janssen, Thilo / Lübker, Malte : Europäischer Tarifbericht des WSI - 2024/2025: Gewerkschaften streiken erfolgreich für reale Tariferhöhungen
DOI: 10.5771/0342-300X-2025-4-280
Seiten 280-296
Zusammenfassung
Im Jahr 2024 haben die Gewerkschaften erstmals seit Beginn des Preisauftriebs wieder europaweit Tariferhöhungen oberhalb der Teuerungsrate durchgesetzt: In der Eurozone verbleibt für die Tarifbeschäftigten von der nominalen Steigerung von 4,5 % ein realer Zugewinn von 2,1 %. In Deutschland legten die realen Tariflöhne mit 2,8 % etwas stärker zu. Im Kampf gegen die Kaufkraftverluste griffen Gewerkschaften in den EU-Ländern vermehrt zu Streiks als letztem verfügbaren Mittel, die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen. Besonders seit 2023 stieg u. a. in Deutschland, Spanien oder den Niederlanden das Arbeitskampfvolumen stark an. Ein deutlich höheres Streikvolumen gab es auch in Ländern, in denen traditionell kaum gestreikt wird, wie in Österreich. Trotz der positiven Entwicklung der realen Tariflöhne 2024 ist die Erholung nicht abgeschlossen: In der Eurozone lag deren Kaufkraft im Durchschnitt noch rund 5 % unterhalb des Ausgangsniveaus von 2020. In Deutschland lag das Minus nach den Daten des WSI-Tarifarchivs bei 4,7 %, nach den Daten des Statistischen Bundesamtes waren es sogar 7,9 % (Unterschiede zu WSI-Daten aufgrund unterschiedlicher Berechnungsmethoden). Vor diesem Hintergrund ist das Abflachen des Tariflohnwachstums, das etwa die EZB für 2025 und 2026 erwartet, bedenklich. Hohe Tarifforderungen der Gewerkschaften haben weiterhin ihre Berechtigung.
Schlagworte: Entgelt/Tarifpolitik, Lohnpolitik, EU, Reallöhne, Streik, Arbeitskampf
Abstract
In 2024, for the first time since the recent surge in prices, trade unions across Europe secured wage increases above the rate of inflation: In the eurozone, collectively agreed wages rose by 4.5 % in nominal terms, which translates into a real gain of 2.1 %. In Germany, the real increase was slightly higher, at 2.8 %. In the fight against the loss of purchasing power, trade unions in EU countries increasingly took industrial action as a last resort to advance the interests of workers. In 2023 in particular, the volume of strikes rose sharply in Germany, Spain and the Netherlands, among other countries. There were also significantly higher volumes in countries where strikes are traditionally rare, such as Austria. Despite the positive trend in real collectively agreed wages in 2024, the recovery is not yet complete: In the eurozone, their purchasing power was still around 5 % below the 2020 baseline. According to data from the WSI Collective Agreement Archive, the real loss in Germany stood at 4.7 %, while according to data from the Federal Statistical Office, the cumulative drop was as high as 7.9 % (the divergence from WSI data is due to methodological differences). Against this backdrop, the flattening of wage growth expected by the ECB for 2025 and 2026 is cause for concern. High wage demands by trade unions remain justified.