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Neva Löw/Sarah Mewes/Magdalena Polloczek, 08.10.2025: Konflikte um eine sozial gerechte Klimawende
Klimapolitische Maßnahmen werden oft mit Gefühlen von Ohnmacht und Entmündigung aufgenommen, lösen Ängste und Ressentiments aus. Die Blogserie fragt: Wie sieht eine sozial gerechte Klimawende aus? Wie glingt es, dafür Akzeptanz zu schaffen?
Die Klimakrise ist unübersehbar, die Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen schreitet ungebrochen voran – und das, obwohl das Ziel der Klimaneutralität eigentlich beschlossene Sache ist. 2015 hat ein großer Teil der Weltgemeinschaft in dem Pariser Abkommen das Ziel festgelegt, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Das Zeitfenster, dieses Ziel noch zu erreichen, schließt sich schnell und ist möglicherweise schon geschlossen (Club of Rome & Wuppertal Institut 2024: 11). Die letzte Bundesregierung hat im Jahr 2021 mit dem Klimaschutzgesetz beschlossen, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein soll. Viele Wissenschaftler*innen vertreten die Auffassung, dass es noch viel schneller gehen müsste, um verheerenden Umweltkrisen vorzubeugen und das Überschreiten möglicher Kipppunkte (tipping points) im Klimasystem zu verhindern.
Die Umstellung von einer fossilen Wirtschafts- und Lebensweise auf eine nachhaltige ist eine umkämpfte Herausforderung, denn sie bedeutet einerseits, Produktionsweisen noch stärker auf die Anforderungen an ressourcenschonende und emissionsarme Verfahren auszurichten, Arbeitsroutinen zu überdenken und den ungezügelten Zugriff des Kapitals auf Natur und Umwelt zu hinterfragen. Der Umbau zur Klimaneutralität ist andererseits selbst ressourcenintensiv. Er betrifft auch internationale Handelsbeziehungen zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden und birgt damit Risiken, bereits bestehende Machtverhältnisse und Ungleichheiten erneut zu vertiefen. Anne Tittor spricht in diesem Zusammenhang deshalb kritisch von „postfossilem Extraktivismus“ (Tittor 2023: 79ff.). In Deutschland sind wichtige Schlüsselsektoren der Wirtschaft, wie die Energiewirtschaft, die Industrie sowie der Verkehrssektor, aktuell die stärksten Treiber für Treibhausgasemissionen. CO2-Einsparungen in diesen drei Sektoren sind daher hierzulande der größte Hebel für den Klimaschutz.
Ob eine Umstellung gelingt, hängt jedoch auch stark von politischen Rahmenbedingungen, gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und gesellschaftlichen Gewohnheiten ab. Neben der Neuausrichtung der Produktionsweise an sich, spielt es deshalb eine wichtige Rolle, gesellschaftliche Konventionen zu überdenken und zu transformieren, beispielsweise in den Bereichen Mobilität oder Konsum. Um hier Fortschritte zu erreichen, braucht es Investitionen in soziale wie infrastrukturelle Voraussetzungen. Damit können die Grundlagen gelegt werden, um eine „Wohlergehensökonomie“ (Club of Rome & Wuppertal Institut 2024: 30) zu schaffen, also eine Wirtschaftsweise, die dem Wohlergehen möglichst aller Menschen und der Natur jetzt und in Zukunft dient und nicht vorrangig die Gewinne großer Konzerne priorisiert – und das in globaler Perspektive, denn noch immer besteht ein großer Unterschied zwischen Ländern, die viel zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beitragen, und Ländern, die wenig davon verursachen, aber stark unter den Folgen leiden.
Auch in Deutschland bestehen tiefe Ungleichheiten zwischen der Verursachung der Klimakrise und den Belastungen, die dadurch entstehen. Bisher hat die deutsche Klimapolitik auf eine grüne Modernisierung der Wirtschaft gesetzt, ohne soziale Absicherung zu schaffen und vor allem ohne eine grundlegendere Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse anzustreben. Dazu zählt auch, negative Verteilungseffekte, die insbesondere private Haushalte zu spüren bekommen, stärker zu thematisieren. Das Umweltbundesamt zeigt, dass arme Bevölkerungsgruppen häufiger und stärker von Umweltproblemen und Klimawandelfolgen betroffen sind als reiche. So ist es beispielsweise typisch für Wohngebiete mit einem hohen Anteil an einkommensschwachen Haushalten, dass sie Lärmbelastung und Luftverschmutzung besonders häufig ausgesetzt sind, da ihnen möglicherweise Initiativmöglichkeiten oder Entscheidungsbefugnisse aufgrund der Eigentumsverhältnisse häufig fehlen oder finanzielle Mittel für Anpassungsinvestitionen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Zudem birgt fehlende (öffentliche) Infrastruktur, beispielsweise ein Mangel an guter ÖPNV-Anbindung, verfügbaren E-Ladestationen oder begrünten Erholungsflächen und Frischluftschneisen, das Risiko, dass solche Wohngebiete von Hitzewellen und höheren Temperaturen viel stärker belastet werden als andere urbane Gebiete. Hier liegt ein deutlicher Zusammenhang zwischen ökonomischer Positionierung in der Gesellschaft und Treibhausgasemissionen vor, denn einkommensschwache Haushalte tragen wenig zur „Verschlechterung des umweltrelevanten Status quo bei“ (Club of Rome & Wuppertal Institut 2024: 51). Fischedick et al. (ebd.) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Zwangssuffizienz“ : Ein geringes Einkommen erzwingt eine Lebensweise, die es nicht erlaubt, besonders viel Energie zu verbrauchen oder Ressourcen zu verschwenden. Allerdings ist gleichzeitig zu befürchten, dass sich die Belastungen gerade für diese Haushalte im Zuge des Klimawandels noch verschärfen. Zielgruppenspezifische umweltpolitische Maßnahmen, die derartige ungleiche Belastungen aufgreifen und auszugleichen versuchen, würden somit dazu führen, dass sich Wohn- und Lebensumstände ärmerer Bevölkerungsgruppen zum Besseren entwickeln – und damit einen Beitrag zu einer inklusiveren Gesellschaft leisten.
Weitere Konflikte, die sich rund um Transformationsprozesse entladen, werden in der Arbeitswelt sichtbar. Sie treten im Betrieb oder Unternehmen an die Oberfläche und werden besonders dann virulent, wenn Beschäftigtenabbau droht, der eigene Arbeitsplatz durch den Klimaschutz gefährdet ist oder sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten erschweren. Auch in der jüngsten WSI-Erwerbspersonenbefragung (Frühjahr 2025) zeigt sich, dass insbesondere Beschäftigte mit niedrigem Einkommen sowie Beschäftigte, die generelle Abstiegssorgen äußern, überproportional häufiger angeben, Sorgen zu haben, dass sich die Maßnahmen des Klimaschutzes negativ auf ihre Jobaussichten oder Karriere auswirken (Hövermann 2025).
Was bleibt, ist häufig ein Ohnmachtsgefühl. Bisherige Klimaschutzmaßnahmen haben bestehende Ungleichheiten nicht offensiv adressiert und dringend erforderliche Veränderungen in der Gesellschaft, wie die Überwindung der Armut, außer Acht gelassen. Auch die Überlagerung mit weiteren (globalen) Krisen erschwert eine zielgerichtete Aufmerksamkeit. So macht es diese Gemengelage nicht einfacher, Klimaschutz prioritär umzusetzen. Wie das Umweltbundesamt im zweijährigen Turnus in seiner Klima- und Umweltbewusstseinsstudie in der Bevölkerung ermittelt, sehen viele Menschen Klima und Umwelt als relevant an, jedoch ist das Niveau im Verlauf der letzten Jahre wieder gesunken. Vielmehr macht sich in den Befragungsergebnissen der Rückstau an nötigen Investitionen in zentrale soziale Infrastrukturbereiche bemerkbar: Der Zustand des Gesundheits- wie auch des Bildungssystems sind für die Befragten aktuell die beiden wichtigsten politischen Themenfelder, die im Vergleich zu den vorausgehenden Jahren zudem stark an Bedeutung gewonnen haben. Ohne eine gezielte Klimasozialpolitik werden soziale Daseinsvorsorge und Klimaschutz getrennt voneinander diskutiert und sogar als Gegensatz zueinander wahrgenommen.
Diese Situation geht einher mit zunehmender politischer Skepsis an dem Ziel der Klimaneutralität insgesamt. In Deutschland hat mit der AfD aktuell eine Partei knapp ein Viertel der Wählerstimmen hinter sich, die aktiv den Klimawandel leugnet und das Ziel der Klimaneutralität abschaffen will. Sie ist Teil eines weit über Deutschland hinausgehenden autoritären Rechtsrucks, der nationalistisches Gedankengut erstarken lässt und das Versprechen einer Weiterführung der fossilen Produktions- und Lebensweise in einer exkludierenden Art und Weise verkörpert. Dazu kommt, dass weltweit rechtsautoritäre Machthaber einen Aufschwung erleben, wie Trump in den USA. Am Tag nach seinem Amtsantritt unterschrieb er den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen. Unter dem Motto „drill, baby, drill“ verfolgt er das Ziel, der Gas- und Ölindustrie zu neuen Höhenflügen zu verhelfen. Cara New Daggett spricht in diesem Zusammenhang von einer autoritären Ausprägung des „Petromaskulinismus“ (New Daggett 2023). Rechtsautoritäre Kräfte mischen Klimaleugnung mit Frauenhass und Rassismus.
Deutschland hat das Ziel der Klimaneutralität 2045 noch nicht aufgegeben. Gleichzeitig wird von der neuen Regierung politisch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund gestellt und Klimaschutz rückt auf der Agenda in den Hintergrund. Zuletzt hat Sachsens Ministerpräsident Kretschmar öffentlich gefordert, das Klimaneutralitätsziel auf 2050 zu verschieben.
Neben etablierten Akteuren aus Zivilgesellschaft, Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung, die diese Perspektive seit langem prägen, gehen insbesondere neu gegründete Thinktanks, Initiativen oder Bündnisse wie beispielsweise das Institut Zukunft Klimasozial oder der Sozial-Klimarat diesen Weg entschieden mit. Und auch die Entwicklung der Environmental Labour Studies in der Wissenschaft zeugt von einem Perspektivenwechsel, der die Anliegen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit zusammendenkt (Barca 2012; Räthzel 2021). Der Vielfalt an Arbeiter*innen-Umwelt-Beziehungen widmen sich mehrere aktuelle wissenschaftliche Arbeiten (siehe u.a. Räthzel 2021; Bell 2020; Schaupp 2024).
Besonders auf dem Weg zu Klimaneutralität steht immer wieder zur Debatte, was es heißt, sozial gerechte Maßnahmen umzusetzen und gleichzeitig die Klimakrise effektiv anzugehen. Diese Diskurse müssen gesellschaftlich geführt werden und es müssen verschiedene Lösungen ausprobiert werden. Letztendlich ist erfolgreicher Klimaschutz notwendig, und eine gesellschaftliche wie politische Kraftanstrengung – und dabei auch eine Frage des Aushandelns unterschiedlicher Interessen.
Mit der Blogserie wollen wir einen Beitrag dazu leisten, diesen Diskurs sichtbar zu machen. Wir zeigen die verschiedenen Aspekte der sozial-ökologischen Transformation auf, möchten aber gleichzeitig auch Handlungsperspektiven diskutieren. Wir werden uns dazu verschiedene Handlungsarenen ansehen, die für eine sozial gerechte Klimawende besonders im Fokus stehen. Dabei zeigen wir unter anderem, inwiefern es zu Konflikten in der Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation kommt und wie diese aufgelöst werden könnten. Wir widmen uns auch der Frage, wie der Sozialstaat Klimarisiken minimieren oder gar absichern kann, und wie gesellschaftspolitischen Bemühungen für einen demokratischen und gesellschaftlichen Zusammenhalt aussehen könnten, der aufgrund steigender Klima-Ressentiments und Rechtspopulismus bedroht wird. Außerdem werden wir den Stand der sozialen Klimawende in unterschiedlichen Sektoren der Wirtschaft skizzieren.
Die Blogserie ist eine Zusammenarbeit zwischen dem WSI und dem Next Economy Lab (NELA). Das WSI-Herbstforum 2025 wird sich dem Thema ebenfalls in Form einer wissenschaftlichen Tagung mit dem Titel „Krisen, Kämpfe, Lösungen: Transformationskonflikte im sozial-ökologischen Wandel“ widmen. Die Blogserie begleitet das. Bei NELA entsteht diese Reihe im Rahmen des Projektes „Team soziale Klimawende“, in dem Gewerkschaftsmitglieder aus IG Metall, IG BCE und ver.di in einer übergewerkschaftlichen Fortbildungsreihe zu Transformationspromotor*innen ausgebildet werden. Sie lernen die soziale Klimawende vor Ort und in ihren Betrieben selbst mitzugestalten, Unterstützer*innen zu gewinnen und Widerständen aktiv zu begegnen. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung unterstützt.
Literatur
Barca, Stefania (2024): Workers of the earth: Labour, ecology and reproduction in the age of climate change. London: Pluto Books.
Bell, Karen (2020): Working Class Environmentalism. An Agenda for a Just and Fair Transition to Sustainability. Cham: Palgrave Macmillan.
Club of Rome & Wuppertal Institut (Hg.) (2024): Earth for All Deutschland: Aufbruch in eine Zukunft für alle. München: Oekom Verlag.
Hövermann, Andreas (2025): Die Verdopplung des AfD Elektorats, Erkenntnisse aus dem WSI-Erwerbspersonenpanel. WSI Study Nr. 42. Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung.
New Daggett, Cara (2023): Petromaskulinität, Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Berlin: Matthes & Seitz.
Räthzel, Nora/Stevis, Dimitris/Uzzel, David (Hg.) (2021): The Palgrave handbook of environmental labour studies. Cham: Palgrave Macmillan.
Schaupp, Simon (2024): Stoffwechselpolitik: Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Tittor, Anne (2023): Postfossiler Extraktivismus? Die Vervielfältigung sozial-ökologischer Konflikte im Globalen Süden durch Dekarbonisierung, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 53.210, S. 77-98.
Die Beiträge der Serie
- Neva Löw/Sarah Mewes/Magdalena Polloczek: Konflikte um eine sozial gerechte Klimawende (08.10.2025)
- Markus Wissen: Transformationskonflikte und globale Klimagerechtigkeit (09.10.2025)
- Neva Löw/Maximilian Pichl: Wie Klimakrise und globale Migration miteinander verbunden sind (13.10.2025)
- Silke Bothfeld/Peter Bleses: Gleichstellung im Arbeitsmarkt – Welche Herausforderungen bringt die ökologische Transformation?
- Marischa Fast/Stefanie Bühn/Johanna Weis: Gesundheitsschutz im Kontext der Klima- und Umweltkrisen – ein Thema für die Arbeitswelt
weitere Beiträge in Vorbereitung
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Autorinnen
Dr. Neva Löw ist wissenschaftliche Referentin am WSI der Hans-Böckler-Stiftung.
Sarah Mewes ist Nachhaltigkeitsökonomin, Mediatorin und Mitgründerin des NELA Next Economy Labs.
Magdalena Polloczek leitet das Referat "Aus- und Weiterbildung für eine transformierte Arbeitswelt" am WSI der Hans-Böckler-Stiftung.
Anmerkung: Die Autorinnen sind in alphabetischer Reihenfolge angegeben und haben gleichermaßen zu diesem Text beigetragen.