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Demonstrantinnen zeigen ein Plakat mit der Aufschrift Climate justice means freedom of movement.

Neva Löw/Maximilian Pichl, 13.10.2025: Wie Klimakrise und globale Migration miteinander verbunden sind

Klimakrise und globale Migration sind eng verknüpft. Emanzipatorische Kräfte müssen das Recht einfordern und verteidigen, gehen zu können, aber nicht gehen zu müssen. Das bedeutet, Asylrechte zu verteidigen und auszubauen.

Ende Juli titelte die Frankfurter Rundschau „Erstes Land der Erde wird unbewohnbar – beunruhigende Prognose“. Der Inselstaat Tuvalu im Südpazifik wird in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des steigenden Meeresspiegels höchstwahrscheinlich unbewohnbar werden. Die australische Regierung bietet als Antwort darauf seit 2023 einem jährlichen Kontingent von 280 Menschen aus Tuvalu eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung an, mit der Perspektive, innerhalb der kommenden 40 Jahre alle Tuvaluvaner*innen in Australien anzusiedeln. Gleichzeitig ist das australische Migrationsregime (zum materialistischen Regime-Begriff siehe Georgi 2022) allerdings durch seine menschenrechtswidrige Härte bekannt. Es werden keine Geflüchteten zugelassen, die mit dem Boot das Land zu erreichen versuchen. Diejenigen, die bei der Flucht aufgegriffen werden, müssen eine Inhaftierung auf Pazifikinseln fürchten – ohne rechtsstaatliches Verfahren. Das Gefängnis auf Manus Island erlangte durch die Schriften eines ehemaligen Häftlings und jetzigen Literaturpreisträgers, Behrouz Boochani, traurige Berühmtheit. Boochani berichtet von quälenden Zuständen während seiner siebenjährigen Haft. Beides ist also Teil des australischen Regimes.

Die Temperaturen auf der Erde und in den Ozeanen steigen, wodurch sich das Klima verändert. Der menschengemachte Klimawandel ist durch die Zunahme von Extremwetterereignissen unübersehbar. Er zerstört global und auch innerhalb von Nationalstaaten Lebensgrundlagen und verschärft Ungleichheiten. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel werden auch Klimaflucht und -migration zunehmen. Bis 2050 prognostizieren die Vereinten Nationen, dass 200 Millionen Menschen aufgrund klimatischer Veränderungen fliehen könnten (Wallace-Wells 2019: 50). Das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtete, dass drei Viertel der 120 Millionen Menschen, die schon jetzt weltweit auf der Flucht sind, in Ländern leben, die vom Klimawandel schwer betroffen sind. Doch Klimaflucht ist kein Zukunftsszenario, sondern ereignet sich schon heute.

Wir widmen uns im Folgendem dem Zusammenhang zwischen der Klimakrise, ihrer politischen und rechtlichen Bearbeitung und der globalen Migration. Dabei richten wir unseren Blick zuerst darauf, welche Rolle die aktuelle Debatte um Migration im Zuge der Klimakrise spielt. Wir fassen dabei die Diskussion um Migration(spolitiken) als eine Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte. Anschließend argumentieren wir, dass Europas Grenzen selektiv offen und geschlossen sind und dass restriktive migrationspolitische Maßnahmen zu einer weiteren Entrechtung von Menschen führen und Ungleichheiten massiv verschärfen. Wir schließen mit einer emanzipatorischen Perspektive, die das Recht einfordert, gehen zu können, aber auch nicht gehen zu müssen.

Alarmglocken Klimaflucht

Seit Ende der 1980er Jahre ist der Begriff des „environmental refugee“ in die politische Debatte eingegangen. Schon der Report vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 1990 beschreibt klimabedingte Flucht alarmierend wie folgt: „migration and resettlement may be the most threatening short-term effects of climate change on human settlements“ (Rouviere et al. 1990: 5-9). Während die Debatte ihren Ursprung in internationalen Organisationen hatte, entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten auch eine wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Einerseits ging es um die möglichen Klassifizierungen unterschiedlicher Klimamigrant*innen (Bates 2002; Biermann 2001; Jakobeit/Methmann 2007: 8 ff.), andererseits um das quantifizierbare Ausmaß von Klimamigration (Myers 1997; 2002) und schließlich um die völkerrechtliche Ebene des möglichen Schutzstatus von Klimaflüchtlingen (Ammer et al. 2010; Docherty/Giannini 2009).

Kritische Stimmen weisen zudem darauf hin, dass die Rede von Migration als Folge klimatischer Veränderungen ein wesentlicher Bestandteil eines größeren sicherheitspolitischen Dispositivs ist, das den Klimawandel zunehmend als Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellt (siehe u.a.: Gupta 2009; Hartmann 2010). Klimabedingte Migration wird als chaotisches Massenphänomen dargestellt, das vor allem den Globalen Süden betrifft. Der Verweis auf die eigene „nationale Souveränität bzw. die Angst vor deren Verlust“ avancierte zu einem „zentralen Aspekt der Umwelt_flucht-Policy“ (Becker 2020: 181). Marlene Becker hat in ihrer Untersuchung dieser Policies gezeigt, dass die Integration dieses Diskurses in neoliberale Migrationsmanagement-Logiken und Sicherheitspolitiken robustere Grenzregime zur Abwehr von Klimaflucht legitimiert (Becker 2020).

Dieses Bedrohungsszenario wird zugleich genutzt, um die Dringlichkeit umfassender Klimaschutzmaßnahmen zu unterstreichen. Bereits auf der Klimakonferenz in Cancun im Jahr 2010 vereinbarten die Unterzeichnerstaaten, Maßnahmen zu ergreifen und zu koordinieren, um mit den klimabedingten Vertreibungen (Displacement) und Migrationsbewegungen umzugehen (Paragraf 14(f) der Cancun-Erklärung, 1/CP.16). Die Internationale Organisation für Migration (IOM) publizierte 2024 einen umfassenden Bericht zu „Klimamigrant*innen“, in dem sie die „Profile“ von bedrohten Gemeinschaften und die sozioökonomischen Situationen der betroffenen Individuen beschreibt (IOM 2024). Almulhim et al. publizierten 2024 einen Artikel im Journal Nature npj Climate Action, in dem sie argumentieren, dass noch weit mehr Menschen durch klimatische Folgen migrieren und flüchten werden als bisher angenommen. Sie resümieren: „Without proper planning and adequate resources, migration may escalate and significantly impact human security.” (Almulhim et al. 2024) 

Innerhalb des internationalen Flüchtlingsrechtregime gibt es bisher keinen Modus, um ökologisch bedingte Flucht hinreichend zu bearbeiten. Die Verfolgungsgründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention verlangen zum Beispiel stets nach einem individuellen Verfolgungsgrund und nach einem konkreten Verfolgungsakteur, beides Voraussetzungen, die bei systemischen Klimakrisen und -katastrophen nicht gegeben sind. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat am 23. Juli 2025 ein wegweisendes Gutachten veröffentlicht (siehe dazu das Blog-Symposium des Verfassungsblog), das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde, aber ursprünglich auf die Initiative junger Student*innen aus dem Inselstaat Tuvalu (Pacific Island Students Fighting for Climate Change (PISFCC)) zurückging. Der IGH hat darin den Klimaschutz als eine völkerrechtliche Schutzverpflichtung bekräftigt, die nicht nur aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, sondern aus zahlreichen internationalen Vereinbarungen und Menschenrechtsdeklarationen resultiere. An einer einzigen Stelle geht der IGH auch auf klimabedingte Flucht ein: „The Court considers that conditions resulting from climate change which are likely to endanger the lives of individuals may lead them to seek safety in another country or prevent them from returning to their own. In the view of the Court, States have obligations under the principle of non-refoulement where there are substantial grounds for believing that there is a real risk of irreparable harm to the right to life in breach of Article 6 of the ICCPR if individuals are returned to their country of origin.” (IGH-Gutachten, para 378) Wenngleich es hier nur um eine sehr kurze Ausführung geht, stellt der IGH dennoch klar, dass Klimaflüchtlinge durch das Gebot der Nicht-Zurückweisung geschützt sind, wenn ihnen durch eine Abschiebung ein ernsthafter Schaden oder eine Lebensbedrohung droht. Der rumänische Richter Bogdan Aurescu führte in seinem Sondervotum zu dem Gutachten sogar aus, dass die Staaten seiner Ansicht nach eine positive Schutzverpflichtung haben, um Menschenrechtsverletzungen von Klimaflüchtlingen zu verhindern (Sondervotum Aurescu, 25-26). Das IGH-Gutachten hat keine unmittelbare Durchsetzungskraft in den Staaten des Globalen Nordens, die als Zielländer der Migration gelten. Aber die Argumentation des IGH und die Verknüpfung der Klimafolgeschäden mit dem internationalen Flüchtlingsrechtsregime wird zukünftig in Rechtskämpfen vor Gerichten in Europa eine größere Rolle spielen. Anwält*innen, NGOs und Betroffene werden sich bei Klagen gegen Abschiebungen von den unteren Verwaltungsgerichten bis hoch zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf mögliche Gefahren für Schutzsuchende berufen können, die aus Staaten geflohen sind, die besonders vom Klimawandel betroffen sind.

Die Erhaltung des Status Quo

Dass die Klimakrise und ihre derzeitige Bearbeitung die globalen Machtverhältnisse und Ungleichheiten noch verschärfen, ist unbestritten. Anne Tittor hat mit dem Begriff des „postfossilen Extraktivismus“ gezeigt, dass der Ausbau erneuerbarer Energiequellen mit einer Intensivierung des (klimaschädlichen) Abbaus von Rohstoffen im globalen Süden einhergeht (Tittor 2023). Eine solche polit-ökonomische Perspektive ist in den Debatten um die Klimaflucht jedoch marginalisiert. Sie findet vorrangig in einem sicherheitspolitischen Rahmen statt, wobei das Bild des Klimaflüchtlings als Bedrohungsszenario für die Erhaltung des Status Quo dient.

Einen verschärften migrationspolitischen Diskurs im Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen auch die Wissenschaftler Brand und Wissen (2024) bei der „autoritären Rechten“ fest. In ihrer Analyse, welche Kräfte die Klimakrise wie bearbeiten wollen, identifizieren sie ein Hegemonieprojekt der „autoritären Stabilisierung“ (ebd.: 170). Autoritäre rechte Kräfte versprechen somit im Zuge der Klimakrise die Erhaltung des Status Quo auf exkludierende Art und Weise. Damit ist der Erhalt einer fossilistischen Produktions- und Lebensweise für eine exklusive Gruppe von Menschen gemeint, was implizit den Ausschluss derjenigen bedeutet, die eine angenommene Bedrohung „von außen“ (ebd.) darstellen. Das Hochziehen von Mauern und die Entrechtung von Teilen der Bevölkerung im globalen Norden und Süden gehen damit einher. Die extreme Rechte schließt Brand und Wissen zufolge „an rassistische Dispositionen an, wie sie im Alltagsverstand vieler Menschen fest verankert sind, und verbindet diese mit den Erfahrungen sozialer Missachtung zu einer politisch wirksamen Erzählung: Es sind die Geflüchteten, die unser Wohlstandsmodell bedrohen. Und es ist eine korrupte Politik, die die Geflüchteten unterstützt, während sie dem sozialen Abstieg der einheimischen Mittel- und Unterschichten tatenlos zuschaut oder ihn gar aktiv betreibt.“ Mit den Rechtsextremismusforschern Quent, Richter und Salheiser kann man auch von einem „Klimarassismus“ sprechen, den extrem rechte Bewegungen propagieren (Quent/Richter/Salheiser 2022).

Aus feministischer Sicht argumentiert Cara Daggett (2024) in eine ähnliche Richtung, wenn sie meint, dass die extreme Rechte der USA erkannt hat, dass sich die Lebensumstände aufgrund der Klimakrise drastisch verändern werden. Als neue Antwort auf die Realität der Klimakrise verspricht die extreme Rechte einer exklusiven Gruppe den Erhalt der fossilistischen Lebensweise. Dieses Versprechen geht mit der Abwertung derer einher, die von dieser Lebensweise ferngehalten werden sollen – allen voran Migrant*innen. Daggett zeichnet eindrücklich nach, wie ein Hypermaskulinismus mit fossiler Energie und Misogynie zusammenspielt und wie sich diese drei Elemente gegenseitig bedingen – sie bezeichnet dies als „Petromaskulinismus (Daggett 2024, siehe zudem ihre Ausführungen im Interview). Sie beschreibt ihn unter anderem wie folgt: „Das Festhalten an der Rechtschaffenheit eines auf fossilen Brennstoffen beruhenden Lebensstils und all der auf sie angewiesenen Hierarchien erzeugt das Verlangen, den Klimawandel nicht nur zu leugnen, sondern sogar abzulehnen.“ (ebd.: 46) Dazu gehört auch die Konstruktion und ein Sich-Abwenden von „the other“, in diesem Fall unter anderem von als migrantisch gelesenen Personen: „Genauer gesagt, wird autoritäres Begehren vermutlich nicht nur durch das Auftauchen von Anderen – etwa Klimaflüchtende aus dem Globalen Süden – an den Grenzen geschürt, sondern auch als Reaktion auf ausgemachte Feinde innerhalb des Staats…“ (ebd.: 47). Auch aus diesem Grund ist die Klimabewegung ein zentrales Feindbild der globalen extremen Rechten. Und das Beispiel der Letzten Generation zeigt, mit welcher Vehemenz die Bewegung durch die Anwendung von Präventivhaft und der Strafverfolgung aufgrund der vermeintlichen Bildung einer kriminellen Vereinigung bis hinein in die bürgerliche Mitte kriminalisiert wurde (Pichl 2023).

In eine ähnliche Richtung argumentiert die Philosophin Lea Ypi in ihrer Wiener Rede an Europa 2025: „Und dennoch wird Migration im politischen Diskurs noch immer als Problem beschworen. Dieses Problem ist politischer und nicht kultureller Natur. Dass es ein Problem gibt, hat nichts mit Migrant*innen, sondern ausschließlich mit der Krise der liberalen Demokratie zu tun, einer Krise, die Migrant*innen nicht heraufbeschworen haben und die sich auch nicht ihretwegen verschärft (…). Das Problem ist, dass die Rechte den Migrationsdiskurs beherrscht und dass es eine Unfähigkeit oder auch, um zur Aufklärung zurückzugehen, eine Mutlosigkeit gibt, sich kritisch des eigenen Verstandes zu bedienen und über die Ideologie und Propaganda, die uns anderes weismachen möchte, hinausdenken.“ (Ypi 2025: 52)

Deutlich wird, dass Migrationsdiskurse und -politiken eine Zuspitzung bereits bestehender gesellschaftlicher Konflikte darstellen und in einem systematischen Zusammenhang mit anderen Krisendiskursen wie der Klimakrise zu betrachten sind. Insgesamt handelt es sich um radikale Transformationskonflikte (Dörre et al. 2025) im Übergang in das Zeitalter des Anthropozäns, also des menschengemachten Klimawandels, in denen Fragen von Macht und Herrschaft in einem globalen Maßstab neu verhandelt werden.

Selektive Grenzöffnungen

Die autoritäre Rechte verknüpft eine Abschottungspolitik mit dem Versprechen der Erhaltung der aktuellen sozialen Verhältnisse. Dabei wird deutlich, dass es nicht um eine allgemeine Abschottung oder tatsächliche Grenzschließung geht, sondern um eine selektive Grenzöffnung und -schließung. Ypi beschreibt das folgendermaßen: „Borders have always been (and will continue to be) open for some and closed for others. The same applies to barriers on integration and civic participation.” (Ypi 2018: 2) Dass Grenzen immer schon selektiv offen bzw. geschlossen waren und diese Filter vor allem Klassenunterschiede als Orientierungsmarke haben, ist nichts Neues.  Die selektive Durchlässigkeit der Grenzen hat zur Folge, dass es zu abgestuften Rechten und Zugängen (Stratifizierung) zu sozialstaatlichen Leistungen für diejenigen kommt, die sich auf einem Territorium aufhalten – während manche Personengruppen die vollen bürgerlichen und sozialen Rechte erhalten, bekommen andere Gruppen gar keinen Zugang zum Recht und zum Sozialstaat. Alana Lentin nennt in diesem Zusammenhang Grenzen und Pässe „institutionalized demarcations of national inclusion“ (Lentin 2008: 193).  Der „national-soziale Staat“ (Balibar 1999: 2) schafft Hierarchien, die sich auch im Anspruch auf soziale Rechte niederschlagen.

Dass nationale Zugehörigkeit zunehmend auch eine Frage der sozialen Klasse ist, wird bei den Möglichkeiten zur Erlangung einer europäischen Staatsbürgerschaft deutlich. Staatsbürgerschaften und damit die vollen Rechte innerhalb von Nationalstaaten werden zunehmend zu Waren, die käuflich erworben werden können. So konnte man sich in Malta für 650 000 Euro eine Staatsbürgerschaft kaufen, eine Praxis, die der Europäische Gerichtshof für europarechtswidrig erklärte. Eine „Vermarktung“ der Unionsbürgerschaft sei nicht zulässig (EuGH, Urt. v. 29.04.2025, Rs. C-181/23). Aber auch in Portugal gibt es für Finanz- und Immobilieninvestoren ein Schnellverfahren zur Staatsbürgerschaft und in Großbritannien werden für 9000 Pfund die notwendigen Dokumente für die Erlangung der Staatsbürgerschaft zu Hause abgeholt (Ypi 2018: 5 f.). Es versteht sich von selbst, dass sich dieser Prozess für diejenigen ohne solche finanziellen Mittel völlig anders darstellt. Diese starke Ungleichheit müsse thematisiert werden, so Ypi (ebd.).

Ypi plädiert daher dafür, die Perspektive auf den Zusammenhang zwischen sozialer Klasse und Migration zu lenken. Im Zuge der Transformationskonflikte bei der Zuspitzung der Klimakrise ist dies eine notwendige Perspektive, um die Klassendimension ins Zentrum der Diskussion zu rücken. Ypi schreibt dazu: „On this rival analysis then, migration related distributive conflicts should be analysed as presenting not an injustice in their own right but as part of a larger account of social injustice, which focuses on a common source of oppression for both vulnerable native citizens and immigrants.” (Ypi 2018: 7) Klassenbedingte gesellschaftliche Hindernisse innerhalb Europas müssen zuerst thematisiert werden, wenn über Migration gesprochen wird. 

Das Recht, nicht gehen zu müssen

Eine klassenbasierte Perspektive, die den politischen und rechtlichen Kampf um die sozial-ökologischen Transformationskonflikte aufnimmt, kann Migration also nicht wegdenken – nicht nur, weil die extreme Rechte die Migration ins Zentrum ihrer rassistischen Mobilisierungen rückt, sondern weil Migration systematisch mit den sozial-ökologischen Ungleichheitsverhältnissen verknüpft ist, die es zu überwinden gilt.

Aus gewerkschaftlicher Sicht müssen daher Forderungen erhoben werden, die eine internationalistische Perspektive von globaler Solidarität beinhaltet. Eine solche Forderung wäre, auf das Recht der Betroffenen der Klimakrise zu pochen, nicht gehen zu müssen. Darunter verstehen wir das Eintreten für die Erhaltung der Lebensgrundlagen aller Menschen, damit sie nicht dazu gezwungen werden, ihre Herkunftsstaaten verlassen zu müssen. Dabei muss es um mehr gehen als um die Veränderung der politischen, sozialen und ökologischen Verhältnisse in den Herkunftsländern. Sonja Buckel und Judith Kopp haben in ihrer Studie „Das Recht, nicht gehen zu müssen“ (2021) anhand der Klimapolitik, der Handelspolitik oder auch von Waffenlieferungen gezeigt, dass sich vor allem die Kräfteverhältnisse in den Staaten des Globalen Nordens verändern müssen. Eine sozial-ökologische Transformation muss daher aus den Verursacherländern der Klimakrise vonstattengehen, die bislang die Folgen dieser Politik auf andere Staaten abwälzen. Eine solche Perspektive der Bekämpfung von Fluchtursachen bestärkt zugleich politische Handlungsmöglichkeiten von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Gewerkschaften, die durch ihre Strategien zur Veränderung der politischen und ökonomischen Verhältnisse im Globalen Norden gleichzeitig einen solidarischen Beitrag für Menschen im Süden liefern und neokoloniale Verhältnisse aufbrechen. Ein Beispiel hierfür ist die enge Bündniszusammenarbeit zwischen Fridays for Future und ver.di, die im Jahr 2024 gemeinsame Streikaktionen für einen klimaschonenden Öffentlichen Nahverkehr mit guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten durchgeführt haben. Eine transnationale Zusammenarbeit von Aktivist*innen und Arbeitnehmer*innen ist ebenfalls unabdingbar, um globale Solidarität herzustellen

Egal wie erfolgsversprechend eine sozial-ökologische Transformation in der Zukunft auch ablaufen könnte, die bisherigen Zerstörungen der fossilen Produktionsweise bringen bereits unveränderliche Klimafolgenschäden mit sich. Selbst wenn von heute auf morgen weltweit alle CO2-Emissionen auf Null reduziert würden, müssten Menschen in der Zukunft ihre Wohn- und Lebensorte aufgrund von Dürren, Überschwemmungen und Überhitzungen verlassen. Migrationsforscher*innen und soziale Bewegungen formulieren daher auch für die Zukunft die Notwendigkeit, Asylrechte zu verteidigen und auszubauen.

Verteidigung demokratischer Räume

Eine sozial-ökologische Transformation und das Eintreten für das Recht, nicht gehen zu müssen, können nur gelingen, wenn demokratische Handlungsspielräume erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden. Im Angesicht eines globalen Autoritarismus und Faschismus geht es also um die Verteidigung von Demokratie. Die gegenwärtigen Krisen der Demokratie sind untrennbar mit den ökologischen Krisen verbunden und sie verschärfen sich gegenseitig. Die migrationspolitischen Debatten sind ein Teil davon und müssen in die allgemeinen Krisendynamiken der Gesellschaften eingebettet werden. Für progressive Kräfte kann es also nicht um die Dethematisierung von Migration gehen – oder, noch schlimmer, um die Übernahme rechter Politik in Form von Migrationsabschottung –, sondern um den Ausbau von demokratischen Räumen und inklusiver Solidarität.

 

Literatur

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Dörre, K./Liebig, S./Lucht, K./Michaelis, L. et al. (Hg.) (2025): Umkämpfte Transformation. Konflikte um den digitalen und ökologischen Wandel, Frankfurt am Main.

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Wallace-Wells, D. (2019): Ausblick auf das Höllenjahrhundert. Blätter für deutsche und international Politik, 11/2019, 47-57.

Ypi, L. (2025): Klasse statt Identität. Für eine aufgeklärte Debatte um Migration. Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/2025, S. 47-56.

Ypi, L. (2018): Borders of class: Migration and citizenship in the capitalist state. Ethics & International Affairs, 32 (2), 141-152.

 

Die Blogserie ist eine Zusammenarbeit zwischen dem WSI und dem Next Economy Lab (NELA). Das WSI-Herbstforum 2025 wird sich unter dem Titel „Krisen, Kämpfe, Lösungen: Transformationskonflikte im sozial-ökologischen Wandel“ dem Thema ebenfalls widmen. Die Blogserie begleitet das. Bei NELA entsteht diese Reihe im Rahmen des Projektes „Team soziale Klimawende“, in dem Gewerkschaftsmitglieder aus IG Metall, IG BCE und ver.di in einer übergewerkschaftlichen Fortbildungsreihe zu Transformationspromotor*innen ausgebildet werden. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung unterstützt.

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Autor*innen

Dr. Neva Löw ist wissenschaftliche Referentin am WSI der Hans-Böckler-Stiftung.

Prof. Dr. Maximilian Pichl ist Professor für Soziales Recht als Gegenstand der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Asyl- und Migrationsrecht an der Hochschule RheinMain.

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