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Yvonne Lott/Karin Schulze Buschoff, 26.02.2020: Gleichstellung: Frauen holen auf – aber noch längst nicht ein

Gleiche Lebenschancen für Frauen und Männer – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die keiner Begründung bedarf. Wie sieht die Realität in Deutschland aus? Daten zeigen: Was selbstverständlich sein sollte, ist noch lange nicht erreicht.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist für die Verwirklichungschancen von Frauen und Männern von großer Bedeutung. Dafür braucht es Bildung, Einkommen und Zeit für Erwerbsarbeit. Mit der Zeit für Erwerbsarbeit sind die partnerschaftliche Aufteilung von informeller Sorgearbeit und Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eng verknüpft. Inwieweit Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt gleiche Chancen auf Teilhabe offenstehen, lässt sich auch an ihrer Beteiligung an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen ablesen: Wie sind die dafür wichtigen Funktionen, z. B. in Vorständen und betrieblichen Führungspositionen, Aufsichtsräten, Betriebsräten aus der Geschlechterperspektive besetzt? Mit unseren Datenanalysen zeichnen wir nach, wie es um die Gleichstellung in Deutschland bestellt ist – und wo gesellschaftliche und gesetzliche Veränderungen ansetzen müssen.

An der Bildung sollte die Gleichstellung nicht scheitern: In der schulischen und beruflichen Qualifikation haben Frauen weitgehend mit den Männern gleichgezogen. Nimmt man die Erwerbsbeteiligung als Indikator, hat sich diese positive Entwicklung auch in den Arbeitsmarkt übertragen: Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt aktuell noch um knapp acht Prozentpunkte niedriger als unter den Männern – vor knapp 30 Jahren war die Differenz rund dreimal so groß.

Die Qualität der Erwerbsintegration – und damit die Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit - ist hingegen noch keine Erfolgsstory: Frauen arbeiten Teilzeit, Männer nicht, da zeichnet sich auch kaum eine Tendenz hin zu einem Ausgleich ab. Von den Beschäftigten, die ausschließlich einen Minijob haben, sind sogar 62 Prozent weiblich. Ein wesentlicher Grund für fortbestehende Unterschiede ist die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit, etwa bei familiärer Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt (Gender Care Gap): Bei Frauen macht unbezahlte Arbeit nach den neuesten verfügbaren Zahlen 45 Prozent an der Gesamtarbeitszeit aus. Bei Männern sind es hingegen nur 28 Prozent, auch wenn Männer zum Beispiel bei der Pflege langsam mehr Aufgaben übernehmen. Warum bleiben viele Familien und Partnerschaften bei dieser traditionellen Rollenverteilung? Ist es einfach eine rein privat-familiäre Entscheidung? Ein wichtiges Kriterium für die (nicht-)partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sind sicher die Verdienstchancen: Frauen verdienen nach wie vor pro Stunde knapp 21 Prozent weniger als Männer. Ein Grund dafür: Sie sind häufiger in den schlecht bezahlten „Frauenberufen“ tätig – und hier spielt der gesellschaftliche Kontext in die privaten Entscheidung hinein: Warum werden Berufe im Pflege-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich viel geringer entlohnt als technische Berufe? An den Anforderungen – Qualifikation, Verantwortung, psychische und physische Belastung im Beruf – liegt es nicht, das hat eine umfangreiche vergleichende Analyse gezeigt, die in dem „Comparable-worth“-Index zusammengefasst ist. Ursache ist vielmehr die nach wie vor fehlende gesellschaftliche Wertschätzung für Carearbeit.

Ein weiterer Grund für die ungleichen Verdienstchancen sind schlechtere Karriereaussichten für Frauen, die sich aus alten Mustern ableiten, nach denen Frauen beruflich weniger zugetraut wird, weil ihnen automatisch mehr privates Engagement zugeschrieben wird, und weil sie die Präsenznorm, die in vielen Betrieben aufstiegsentscheidend ist, weniger einhalten – zum Teil weniger einhalten können, weil die Sorgearbeit in der Familie ja eben nicht gleich verteilt ist. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz – und macht deutlich, wo die gesellschaftliche Verantwortung liegt, um diesen Kreis zu durchbrechen und wirklich gleiche Chancen auf Verwirklichung zu schaffen.

Erste Erfolge sind schon erreicht – und beweisen, dass Fortschritte per Gesetz machbar sind und von den Menschen akzeptiert und genutzt werden: Die inzwischen rechtlich geregelte Ganztagesbetreuung von Kindern hat sich erheblich verbessert - die Quote bei den 3- bis 6-jährigen hat sich zwischen 2007 und 2017 knapp verdoppelt, und bei den Kindern unter 3 Jahren sogar fast verdreifacht. Freilich reicht auch das noch nicht, um den deutlich höheren Betreuungsbedarf von Eltern bislang abdecken zu können. Auch gesetzliche Frauenquoten zeigen Wirkung: Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 größten börsennotierten Unternehmen stieg mit der Einführung eines rechtlich verbindlichen Mindestanteils von Frauen bis 2018 auf gut 30 Prozent, wenn Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im Kontrollgremium sitzen. In nicht mitbestimmten Unternehmen, in denen keine Quote gilt, lag der Anteil bei knapp 20 Prozent. In den Unternehmens-Vorständen, für die es bislang keine gesetzlichen Regeln gibt, war 2018 nicht einmal jedes zehnte Mitglied weiblich (9 Prozent in mitbestimmten, knapp 6 Prozent in nicht-mitbestimmten Firmen).

Um Gleichstellung im Sinne gleicher Lebenschancen für Frauen und Männer in der Zukunft durch gesellschaftliche und betriebliche Anstrengungen und vor allem durch gesetzliche Regelungen wirksam zu befördern, gibt es vielfältige Ansatzpunkte:

  • stärkere Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, etwa durch eine schrittweise Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld auf sechs Monate.
  • mehr Möglichkeiten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene geschlechteruntypische Berufe/Berufsfelder kennenzulernen.
  • eine finanzielle Aufwertung von frauendominierten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich, um diese für beide Geschlechter attraktiver zu machen.

Sicher: Brandneu sind diese Vorschläge nicht – um so dringender ist es, ihre Umsetzung endlich anzugehen.

Zum Weiterlesen:
Dietmar Hobler, Yvonne Lott, Svenja Pfahl, Karin Schulze Buschoff, Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland. WSI Report 56, 02/2020 (pdf)

Zum Download:
Daten, Schaubilder, Analysen zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland. WSI Genderdatenportal

 

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Autorinnen

PD Dr. Karin Schulze Buschoff leitet das Referat Arbeitsmarktpolitik des WSI. Sie ist Expertin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im deutschen und europäischen Kontext, vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung und Sozialstrukturanalyse.

Dr. Yvonne Lott ist Leiterin des Referats Geschlechterforschung am WSI. Sie forscht zu den Themen Arbeitszeit, flexibles Arbeiten, Work-Life Balance und soziale Ungleichheit.

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